DUM NR. 79

THEMA: FAST EN ZEIT
Mit: Hans Platzgumer - Interview * Simon Gürel * René Oberholzer * Daniela Dangl * S. H. Schild * Jörg Kleemann * Harald Vogl * Markus Grundtner * Safiye Can * Ella Marouche * Gorch Maltzen * Mario Keszner * Stefan Bayer * Thomas Buchner * Henrik Failmezger * Nicole Kovanda * Markus Prem * Peter Paul Wiplinger * Timo Krstin * Gerhard Benigni * Alec Dreppec * Annemarie Regensburger * Johannes Witek * Der Wortvertreter

Rezensionen: Jörg Zemmler - papierflieger luft * Sofia Andruchowytsch - Der Papierjunge * Marianne Jungmaier - Sommernomaden

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DUM-Interview: "WEISSE FLECKEN, SCHMUDDELIGE ZEITEN, GLÜCKSELIGE ORTE" mit Hans Platzgumer


Leseproben aus DUM 79:

DIE KUR
(René Oberholzer)

Ich muss den Gürtel
Um meine Gedichte
Enger schnallen
Sagte der Poet
Und machte
Mit den Versen
Von Ungaretti
Eine Abmagerungskur

Einige Gedichte
Wurden blutarm
Klagten über Krämpfe
Litten an Verstopfung
Fielen in Ohnmacht
Oder starben
Ohne irgendein Wort
Zu hinterlassen



BORSCHTSCH
(Simon Gürel)

Jänner
Kateryna kam kurz nach Heilig Abend, der in der ukrainischen Kirche am 6. Jänner gefeiert wird, in Wien an. Die Schwester hatte sie von ihrer Heimatstadt Uzhorod, die im Oblast Transkarpatiens und westlichsten Zipfel der Ukraine liegt, über die slowakische Grenze gebracht. Sie hatten Glück gehabt, dass es so früh war und der müde Grenzposten ihr Auto nicht kontrollierte. Seit kurzem war es strengstens verboten, tierische Produkte in die E.U. einzuführen. Kateryna hatte sechs Kilogramm Schweinefleisch mit und die Plastikbeutel mit den geräucherten Blutwürsten, dem gesalzenen Rückenspeck und den gefrorenen Kotelettstücken nur notdürftig zwischen Socken und T-Shirts im Rucksack versteckt. In Kosice verabschiedete sie sich von ihrer Schwester, stieg in den Reisebus ein und kam am frühen Abend in Wien Erdberg an.

"Ich bin Kateryna", stellte sie sich keuchend vor, als ihr Babsi eine knappe Stunde später die Wohnungstür öffnete. "Schön, dass du da bist", sagte Babsi und ließ die neue Mitbewohnerin herein. Kateryna ließ ihre Taschen von den Schultern gleiten und zu Boden fallen. Sie atmete schwer, mit pfeifender Lunge. Um ihre Stiefel sammelte sich eine graue Lacke von geschmolzenem Schnee. "Wie war die Fahrt?", fragte Clemens, der gerade in Pyjamahose aus der Küche trat, in den Händen eine Tafel Schokolade. "Mein Freund Clemens", stellte Babsi, über seinen schmuddeligen Aufzug ein wenig verlegen, vor, "er wohnt auch hier." "Ich helfe dir mit dem Gepäck", bot Clemens an, schnappte Katerynas Taschen und trug sie in ihr Zimmer. "Puh, sind die schwer", sagte er, als er ins Vorzimmer zurückkehrte, wo Kateryna gerade den Mantel ablegte und ihre Stiefel aufschnürte, "Hast du da deine ganze Bibliothek eingepackt?" "Nein", sagte Kataryna und schüttelte mit ernster Miene ihren Kopf, "ich habe sechs Kilogramm Fleisch mitgebracht. Habt ihr ein Tiefkühlfach?" Clemens und Babsi tauschten einen Blick. "Ich seh mal nach, ob Platz drinnen ist", sagte Babsi.

Babsi räumte den Blattspinat von Iglo und die Marillenknödel von der Oma in den Kühlschrank. Die Reste in den Vodkaflaschen, die sie für die letzte Party eingekühlt hatten, leerte sie in die Spüle. Dann nahm Babsi auf der Küchenbank Platz und schaute Kateryna dabei zu, wie sie die Plastikbeutel mit dem Fleisch im Tiefkühlfach verstaute. Babsi lebte seit zwei Jahren vegan, Clemens war immerhin Vegetarier.
...



MENÜMANIE
(ein alliterationsanfall)
(Harald Vogl)

marianne mag mikadomäßige männer, malträtiert mehresser meistens mitte märz mit minusmenüs. mißmutiger mann mimt magersüchtigen, mosert müde: mensch meier, muß mich mal mästen! mein mammutprogramm macht mir mühe!
mieses mampfen, meckert marianne, meines mannes magen mißt mittlerweile monstermaß - mörderwampe, mindestens medizinballgroß!
mister megamampfer mag monstermenüs mit magnumsteaks medium, marinierten miesmuscheln mit matschigem mangomus.
mein mittagsmahl mit mehr mayonnaise, moniert meisteresser.
mitnichten, murrt marianne, mayo mästet megalomanisch.
mühsam mischt marianne mehrkornmüsli mit magerer mangomilch. maismehlmüsli mit marillenmarmelade mundet mitunter mehrmals, manifestiert marianne, macht meinen mann mager, mitunter minusmagenwachstum möglich.
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WG-EINKÄUFE
(Safiye Can)

fünf Kilo Glück
zwei Pfund Erfahrung
vier Gramm Achtung
eine Tüte Vorsicht
zwei Esslöffel Einsicht
war alles, was ich von Lidl
mitbrachte, damals
als ich mich in Albert Camus
verliebte.



MEIN FACEBOOK-FASTTAGEBUCH 2016
(Gerhard Benigni)

Es aschermittwocht. Asche auf mein Haupt. Soeben habe ich den letzten Faschingskrapfen verdrückt. Im Ganzen. Das vermeidet das Anpatzen. Na sauber, ab nun heißt es 40 Tage fasten. Nöm ich mir jedenfalls fest vor. Der Countdown bis zur Osterjause läuft.

Fasttag Nr. 1: Erste Fastnacht überstanden.

Fasttag Nr. 2: Langsam habe ich es satt, dieses Fast Food.

Fasttag Nr. 3: Zumindest die Motivation nimmt langsam ab.

Fasttag Nr. 4: Trotz Wochenende vom Knurren des eigenen Magens zu einer unchristlichen Zeit geweckt worden.

Fasttag Nr. 5: Immer noch keine Esskapaden.

Fasttag Nr. 6: Heute übe ich mich in Kombination mit körperlicher Unanwesenheit in Verzicht auf die Arbeitsleistung.

Fasttag Nr. 7: Der Blick auf die eigenen Füße in aufrechter Haltung kann in Aussicht gestellt werden.

Die erste Fastenwoche habe ich hinter mir. Fas(t)zinierend, was man in sieben Tagen alles nicht essen kann.

Fasttag Nr. 8: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Hoffnungsvoll gründe ich die Facebook-Gruppe "40 Tage, 40 Deka".
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