DUM NR. 92

THEMA: BLUMIG - Von Wiese bis Wein
Mit: Harald Jöllinger - Interview * Martin Peichl * Silke Gruber * Laura Breyer * Annemarie Regensburger * Jasmin Gerstmayr * Johannes Witek * Angelica Seithe * Christina Loböck * Angelika Polak-Pollhammer * Daniela Dangl * Mario Petuzzi * Nora Schramm * ChristiAna Pucher * Brigitte Thurner * Johanna Wurzinger * Harald Jöllinger * Gerhard Benigni * Katharina Brunner * Gerrit Reinmüller * Michaela Ortis * Sabine Reyher * Britta Badura * Franziska Zussner * Susanne Grech * Matthias Hütter * flimmern.fischen

Rezensionen: Vea Kaiser - Rückwärtswalzer * Alain Barbaro & Barbara Rieger - Kinder der Poesie * Barbara Schwarcz - Sommerverschwendung

Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis

Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.


DUM-Interview: "ES HERBSTLT ..." mit Harald Jöllinger



Leseproben aus DUM 92:


PAMPELIŠKA
(Martin Peichl)

Es sieht nach Regen aus. Ich stehe im ein wenig abseits vom Hof angelegten Gemüsegarten meiner Großmutter. Ich erinnere mich an die Himbeeren und Fisolen, die hier früher gewachsen sind, die ich früher gemeinsam mit meiner Großmutter geerntet habe. Im dichten Gras, das schon lange niemand mehr gemäht hat, entdecke ich einen Löwenzahn. Pampeliška, wie meine Großmutter die Blume mit ihren zwei Gesichtern genannt hat, und ich weiß noch, wie wir die Pusteblumen gemeinsam in den Sommerwind gehalten und den Flugschirmen dabei zugeschaut haben, wie sie abhoben und in eine unbestimmte Himmelsrichtung davongetragen wurden. Manchmal mussten wir nachhelfen, dann pusteten wir gegen die Blütenköpfe, als hätten wir Geburtstag, als könnten wir uns alles wünschen.

Ich bin hier, um meinen Onkel zu besuchen, um mit ihm gemeinsam den alten Schuppen auszuräumen. Stattdessen stehe ich im Gemüsegarten, der kein Gemüsegarten mehr ist, es sieht immer mehr nach Regen aus, und ich denke an meine Großmutter, daran, dass sie meinen Opa immer geschimpft hat, wenn er wieder einmal zu spät nachhause gekommen ist, weil er im Wirtshaus "picken geblieben" ist, wie er immer gesagt hat, und mein Kinderhirn hat an Sekundenkleber gedacht, an den Hosenboden meines Großvaters, den jemand, wahrscheinlich der Wirt, an die Holzbank im Wirtshaus geklebt haben muss. Nur ein paar Mal konnte der Opa sein Zuspätkommen wiedergutmachen, zum Beispiel, wenn er Speck oder Geselchtes beim Zankerlschnapsen gewonnen hatte.
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SEHNSUCHT
(Angelica Seithe)

Ich möchte
mit der flachen Hand
über die gelben
Löwenzahnwiesen streichen
und dabei
mit den Fingerspitzen
den blauen Himmel berühren

Ich wüsste dann
Wohin



SCHNITTBLUMENREVOLTE
(Christina Loböck)

"Sei vernünftig!", haben alle gesagt. Gerade eben noch habe ich es selbst zu mir gesagt. Mich daran erinnert, was es heißt, vernünftig zu sein. Vernünftig ist es, mit Anfang dreißig eine Lebens- und Rentenversicherung abzuschließen - vorausgesetzt, man hat vorher etwas Vernünftiges gelernt, das einem erlaubt, in kleinen, monatlichen Raten in die Zukunft einzuzahlen. Es ist vernünftig, zu heiraten, eine Familie zu gründen und sesshaft zu werden.

Das wiederhole ich wie ein Mantra, als ich die Kirche betrete. Sie ist wunderschön geschmückt, der Florist hat alle Register gezogen: Bouquets voller Rosen, Nelken, Schleierkraut und Orchideen überall. Diese Blumen sind wie wir: Gezüchtet und abgeschnitten um sich einzufügen in einen bunten Strauß aus Konventionen, Vorgaben und Erwartungen von einer Gesellschaft, die im Glashaus sitzt und es sich trotzdem nicht nehmen lässt, mit Steinen zu werfen.

Ist es eigentlich vernünftig, so viel Geld für Blumen auszugeben? Vielleicht nicht vernünftig, aber möglicherweise romantisch?
Vernünftige Leute investieren in Gold oder risikoarme Anlagepakete, nicht in Blumen. Vernünftige Leute gehen zu Vorsorgeuntersuchungen, rauchen nicht, trinken nicht, praktizieren Clean Eating und treiben regelmäßig Sport, am liebsten Kardiotraining. Sie tragen Fitnesstracker und zeichnen 24/7 ihren Pulsschlag, ihre Schritte und ihre Schlafphasen auf.
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UNTERM RIESENRAD
(Angelika Polak-Pollhammer)

blühen Hopfenblumen
von September bis Oktober
welken
über Nacht
ihre Schaumkronen
wertlos in sich zerfallen
zwischen Lebkuchenherzen
und Papierservietten
auf der Wiesn



WEIL SONNTAG IST
(Michaela Ortis)

"Vater, kommst du bitte die Erdäpfel schälen!" Die Stimme meiner Großmutter klingt bestimmt.

Sonntagvormittag, mein Großvater kommt nach der Kirche in die Küche herein, setzt sich auf die Eckbank auf seinen Platz und legt seine grau-karierte Pullman Kappe neben sich. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Topf mit dampfenden Erdäpfeln. Langsam beginnt er sie zu schälen, bedächtig wie immer.

Sein Fuß wippt zur Blasmusik aus dem Radio, denn Musik war seine Leidenschaft und wohl auch Möglichkeit, dem Alltag manchmal zu entfliehen. Wenn er in der Musikkapelle spielte, putze er mit Hingabe seine Trompete auf Hochglanz, ich habe ihm gern zugeschaut und die glänzenden Tasten bewundert. Seine Hände, gewohnt schwer zu arbeiten, waren dennoch feingliedrig, um seinen Instrumenten die schönsten Melodien zu entlocken.

In der gegenüberliegenden Ecke der Küche steht meine Großmutter am gusseisernen Herd, das immer noch dunkle, leicht wellige Haar unter einem Netz zusammengebunden. Ihre Kochschürze, die sorgsam das Sonntagskleid schützt, reicht fast bis zum Boden - an Energie und unerschütterlichem Glauben ist diese Frau jedoch riesengroß. Gerade bereitet sie Leberknödel und wendet Schnitzel, die dann im Rohr in einer roten, schon etwas abgeschlagenen Emailpfanne warmgehalten werden.

Mein Großvater schält weiter. Einmal steht er auf und geht in die Speis', die ich als Kind so liebte. Dort roch es immer herrlich nach Guglhupf und Biskuitrouladen, die meine Großmutter bereits nach der Frühmesse gebacken hatte, während wir Kinder noch selig schliefen. Mein Großvater kommt mit einer großen grünen Weinflasche zurück und gießt sich sorgsam einen Schluck Wein in sein Achtel-Glas, das am oberen Rand mit Rebenlaub verziert war. Dann stellt er die Flasche unter die Eckbank. Welche Sorte das war, kümmerte mich als Kind nicht, hier im Weinviertel, am Rande der tschechischen Grenze war es sicher eine Hausmarke.
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