DUM NR. 60

THEMA: STOFF
Mit: Daniel Wisser - Interview * Nadja Bucher * Finn-Ole Heinrich * Harald Vogl * Karoline Kuttner * Margit Heumann * Elisabeth R. Hager * Daniel Huter * Klaus Roth * Roman Weyand * René Steininger * Elisabeth Mehlmann * Manfred Pricha * Barbara Keller * Christian Schreibmüller * Eva Austin * Leonhard F. Seidl * Theodoa Bauer * Elisabeth Steinkellner * Klaus Michael Oberrainer * Ekaterina Heider * Der Wortvertreter

Rezensionen: Daniel Wisser - Standby * Christian Uetz - Nur du, und nur ich * David Wagner - Welche Farbe hat Berlin?

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DUM-Interview: "Standby" mit Daniel Wisser


Leseproben aus DUM 60:

WESSI
(Finn-Ole Heinrich)

Ich bin nicht gerne beim Wessi. Es riecht komisch bei ihm. Der Geruch erinnert mich an Verwesung, an tote Tiere, an Vogelleichen am Straßenrand im Sommer. Dabei ist Winter. Zehnter Zwölfter. In zwei Wochen ist Heiligabend. Davon merkt man hier draußen wenig. Wenn du im Kaufland bist, dann ja: dann Schokoladenweihnachtsmänner, dann Stollen, dann Glühwein, dann alles Rot und Grün und Klingelingeling. Aber hier draußen? Nur das Rauschen der Autobahn, nur das Kreischen des Trennscheibenschneiders und natürlich das Fernsehprogramm. Das ist das einzige, was wie zu Hause ist. Im Fernsehen ist natürlich auch Weihnachten.

Ich habe meinen eigenen Wohnwagen. Ich bin seit sechs Jahren auf Montage. Bei den Preisen für die schäbigen Wohncontainer hast du nen Wagen nach vier Jahren wieder raus. Für die Container zahlst du nämlich auch. Sechs Euro fünfzig am Tag. Du kannst aber auch mit deinem eigenen Wagen kommen, wenn du einen hast. Hast mehr Platz, mehr Ruhe. Nicht das ständige Husten durch die dünne Blechwand, nicht das unruhige Schlurfen, nicht die Gerüche, nicht den Müll.

Ich stehe in der Küchenecke vom Wessi, wir rauchen. Von der Spüle bis fast zur Decke stapeln sich leere Fünfminutenterrinen. Ich bin nicht gerne hier, aber der Wessi sagt, er habe einen Job für mich. Er grinst mich an: "Ich werde Ihnen ein Angebot machen, dass Sie nicht ausschlagen können."
"Na, dann lass hören, Wessi, und mach hier nicht son Aufriss", sage ich, "da hab ich jetzt echt keinen Bock drauf, ich bin im Arsch, ich will ins Bett!" Ich mag den Wessi nicht besonders, er ist ein linker Typ. Außerdem, wenn du hier draußen bist, dann willst du gar keine Freunde, da willst du für dich sein.
...


COSA NOSTRA
(Roman Weyand)

ist es nicht sex
dann ist es geld

ist es keines
von beiden

ist es vermutlich
echt


UND DANN WAR FAST WIEDER ALLES GANZ GUT
(Karoline Kuttner)

Viel lieber als Knöpfe würde die Martha gerne Knopflöcher sammeln. Aber das geht nicht, weiß sie selbst. Deswegen sammelt sie eben Knöpfe. Rote, gelbe, grüne, violette, gestreifte, gepunktete, geblümte, einfärbige, wollene, seidige, stoffige, filzige, schöne, hässliche, liebliche, freche, politisch korrekte, feministische, eben alles, was Knöpfe so sein können. Sie lässt da nichts aus.
Der Lieblingsknopf von der Martha ist blau und aus Stoff. Sie weiß nicht wieso, aber der Stoffknopf fühlt sich am besten an. Besser als Seide oder Filz. Manchmal, wenn sie ganz traurig ist, da näht sie sich an irgendeine Hose ihren blauen Lieblingsknopf und streichelt ihn. Vieles ist zwar dann wieder nicht besser, aber es fühlt sich so an. Für den Moment.
Manche meinen, dass die Martha ein wenig wahnsinnig ist.

Einmal hat sich die Martha mit einem Johann getroffen. Das war so etwas wie eine Verabredung, weil jedenfalls freundschaftlich hatten die beiden kein Interesse aneinander. Die haben sich in einem Restaurant getroffen, wo sie nach einem Glas Prosecco, gegessen haben. Er ein Steak und sie Blattsalat mit Putenbruststreifen, wie es sich gehört. Jedenfalls hat sich das die Martha immer gedacht, dass man das so macht. Nach dem Dessert, das die beiden, die Martha und der Johann, sich geteilt haben, haben sie noch einen Verdauungsschnaps getrunken und er hat bezahlt. Alles in allem ein perfekter Abend, hat sich die Martha gedacht und auch der Johann. Weil es war auch irgendwie so. Naja und dann haben sie sich in sein Auto gesetzt und er hat sie nach Hause gebracht. Wie es sich gehört. Und dann hat er ihr die Autotür aufgemacht und die beiden haben sich angeschaut und sie hat ihn dann gefragt, ob er noch auf einen Kaffee mit rein kommen möchte. Und das hat er bejaht. Und das war auch klar.

Und selbst wie die Martha dem Johann ihre Knopfsammlung gezeigt hat, hat noch alles gepasst. Aber dann hat sie doch zu reden angefangen. Sie hat ihm erzählt, seit wann sie sammelt und wie toll das ist. Dass sie keinen einzigen Knopf zweimal hat und dass sie die besonders tollen, obwohl sie niemanden benachteiligen will, dass sie denen auch Namen gibt. "Das ist die Susi, das der Peter, und da ganz versteckt ist der Uli, der versteckt sich immer, weil er glaubt, dass er nicht so schön ist, und da, ach ja, mein Werner, der ist toll oder?" Und da hat dann der Johann angefangen zu denken, dass die Martha hoffentlich gut im Bett ist. Aber sie hat nicht aufgehört zu reden. Sie hat immer weiter erzählt und weiter erzählt. Und dann hat sie auch noch von deren Charakter angefangen und dass jeder auf seine Art und Weise schön ist und dass es eigentlich alle verdient hätten einen Namen zu bekommen. Aber dass das halt einfach nicht geht. Zeitmäßig und so. Und dann hat sie angefangen zu flüstern und der Johann hat in den Nebenraum mitgehen müssen, weil das, was sie ihm gleich erzählen wollte, das durften die Knöpfe nicht hören.
...


LAUFSTEG
(Manfred Pricha)

kleidungsstücke wie antikörper
reifen in unserer nacktheit aus
eine taube autoimmunschwäche
die zur sichtbewaffnung aufruft
haut wird eine haarige angelegenheit
pelzgeschäft in stofflicher umsetzung
überworfen mit der schonzeit
lagern wir unsere neurosen aus
ein unternehmen voller schönheit
prothesen für ganze gesichter
liefern den schrillen vorhang auf
für kunstfrauen als geldmaschine


WIE FLIEGEN
(Ekaterina Heider)

Die Frau deiner Träume. Der Sommer deines Lebens. Du schläfst neben deiner großen Liebe ein und wachst neben einer Fremden auf. Es ist wie ein Film, bei dem deine Rolle plötzlich an einen anderen vergeben wird. An einen anderen namens Clemens. Er hat einen Jeep. Er ist Anwalt. Du bist bloß Angestellter bei einem Konzern, der wahrscheinlich einem seiner guten Freunde gehört.
Das Büro hat heute Morgen angerufen, ich soll pünktlich erscheinen. Der Kaffee schmeckt nach Blausäure und ich muss mir dringend eine neue Wohnung suchen. Eine kleinere in einer anderen Gegend. Mir eine neue Arbeit zulegen, vielleicht sogar ein Hobby.
Mitten in der Nacht ist eine, eigentlich recht attraktive Frau, wütend aus meinem Bett gesprungen und hat sich ein Taxi gerufen. Ihr Name sei nicht Alina. Stefanie oder so. Wie auch immer.
Gott, wie der nervt.
Haben wir nicht. Nein, die kann man auch nicht bestellen. Der Geschäftsleiter ist momentan nicht zu sprechen, tut mir Leid. Doch, es tut mir wirklich Leid.
Ich weiß, es ist unfreundlich bei einem Kunden einfach den Hörer aufzulegen, aber man kann eben nicht alles haben.
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