DUM NR. 48

THEMA: WILD.WECHSEL
Mit: Mieze Medusa - Interview * Christian Seiffert * Bettina Gärtner * Simon M. Jonas * Rainer Wedler * Peter Landerl * Alessandra P. Hangbutt * Herbert Friedrich Witzel * Daniel Kindslehner * Johannes Witek * Rainer Hawlik * Jochen Weeber * Magda Woitzuck * Steffen Roye * Synke Köhler * Ulrich Schlotmann * Wolfgang J. Fink * Stefanie Kißling * Claudia Kohlus * Tanja Raich * Der Wortvertreter

Rezensionen: Xaver Bayer - Die durchsichtigen Hände * James G. Ballard - Liebe & Napalm - The Atrocity Exhibition * Robert Seethaler - Die weiteren Aussichten * Julian Schutting - An den Mond

Preis: EUR 3,30.- (EUR 5.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 13.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.


Leseproben aus DUM 48:

VOR DER ZEIT
(Daniel Kindslehner)

"Na endlich."
Die Worte stößt er fast lautlos hervor, dennoch zucke ich zusammen. Mit den Fingern seiner rechten Hand dreht Vater an der Justierung des Feldstechers, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Schließlich noch einmal seine Stimme, diesmal mit einem Unterton, der keinen Zweifel zulässt: "Da ist er."

Ich wage nicht nachzufragen. Im rötlichen Licht der Morgensonne steht seine Gestalt unwirklich nahe vor mir, körperlicher, als sie mir in den Stunden seit der einsetzenden Morgendämmerung erschienen war. Von seinen kurz rasierten Nackenhaaren, die wie elektrisiert von seinem Hals abstehen, kann ich im Gegenlicht jedes einzelne ausmachen. Zumindest bilde ich mir das ein. Erst jetzt registriere ich, dass es bereits taghell ist. Dass ich friere und meine Blase drückt, weiß ich schon die längste Zeit. "Geschifft wird beim Heimgehen", war die kurze Information gewesen, mit der ich mich zufrieden geben musste. Gegen die Kälte hat Vater nicht einmal sein zynisches Grinsen parat, sie existiert für ihn irgendwie nicht und hat infolge dessen auch für mich keinerlei Relevanz. Ich bin sicher: wenn Vaters Blick das Unterholz abgrast, entgeht ihm nicht die leiseste Regung. Zur gleichen Zeit weiß er vermutlich nicht einmal, wie er heißt.

In meiner Familie hat das Jagen seit Generationen eine Bedeutung, an die keine sonstige Beschäftigung in irgendeiner Weise herankommt. Für Vater ist es gänzlich zur Obsession geworden. Sein eigener Vater, mein Großvater, den ich sehr geliebt habe, war Jagdaufseher im Bezirk.
…


AUF DIESER ERDE, DIE KEIN STERN IST
(Magda Woitzuck)

Sie fanden sie in einem Park der Ciudad Jardín, der Gartenstadt in Buenos Aires, das Höschen zwischen den Knien, ein weißes, ganz reines, aus den angetrockneten Augäpfeln saugten die Fliegen das letzte Nass. Die spitzen Knie stachen eigenartig durch das Grün, das ist auch das Erste gewesen, das dem kleinen Jungen aufgefallen war. Die zu große Baseballkappe ist ihm in die Stirn gerutscht als er in die Küche seines Heimes gelaufen kam, in den Schoß der Mutter.

"Da liegt eine in den Büschen.", sagte er ausdruckslos, "Sie ist tot, glaube ich.", und das war der letzte Satz, den er für lange Zeit sprechen sollte, für sehr lange Zeit, für 15 Jahre, 3 Monate und 5 Tage um genau zu sein.

Da hat ihn dann die Kleine des Nachbars, die nicht mehr klein war aber noch so genannt wurde, an einer Mauer zwischen Autoleichen in denen Mäuse wohnten und Schlangen in den Federn der Sitze dösten, verführt. Und er sagte - zum ersten Mal seit 15 Jahren, 3 Monaten und 5 Tagen - seinen ersten erwachsenen Satz, weil gerade Sonnenuntergang war und die Stimmung gut: "Dein Schweiß schmeckt mir", er küsste ihr die Lider und hielt sie noch ein wenig.
…


DIE FREUDEN DER JAGD
(Ulrich Schlotmann)

Der Mann der in den Wald (hinein)geht gibt uns - "allen (ernsthaft) interessierten Laien (mithin)" - folgenden - "(nur) gut gemeinten" - Rat(schlag) mit auf den Weg: "In den Wald (hinein) - bitte!" - tun sollten wir uns/& ihm einen Gefallen - "nie zu zweien, ihr (blutigen) Laien" - sollten wir gehen - "unter (gar) keinen - wie auch immer gearteten - Umständen" - (denn) wir wären - "immer/& in jedem Fall" - (doch) besser dran, wenn wir einzeln - "auf euch - (ganz) allein - gestellt" - ohne (jede) Begleitung in den Wald (hinein)gingen - "dies Prinzip ist universell (gültig), es gilt hier/wie anderswo (auch) - in demselben Maße" - egal wo/& in welchem Zusammenhang - (auch) immer - "aber: auf den Wald als Ort der Handlung bezogen im Besonderen (wohl)." Zu zweit in den Wald (hinein) - "oder (gar) zu dritt, zu viert, zu fünfen (etc.)"
…


AUSGEWECHSELT
(Stefanie Kißling)

Die Nachtluft beißt sich durch seine Kleider. Schwärze klebt auf den Straßen, an den Betonwänden, außerhalb des Laternenlichts. Der Sturz aus dem Fenster, ein paar Meter nur, nicht viel. Aber sofort kämpft sich Luft durch seine Lungen. Das Rasseln wird von seinen Ohren verschlungen, aufgesogen, ausgespuckt.

Er sieht sich um: Vollmond. Halbmond. Gar kein Mond. Manchmal drücken Nebelschleier gegen seine Brust. Er setzt einen Fuß vor den anderen, anfangs zögernd, dann schneller. Das Tappen wird lauter, hallt durch die lichtbefleckten Straßenecken. Er kämpft, geht diesen Weg täglich, hält nie an. Das Atmen wird schwerer, das Rasseln beherrscht alles, was er hört und erst, wenn der Schweiß in seine Augen kriecht, erst, wenn er den Wind spürt, der ihm entgegen tritt, weiß er, dass er gewonnen hat.

Er sitzt bei Tisch. Den Kopf gesenkt. Seine Hände zittern. Seine Lunge füllt sich mit Luft, aber ausstoßen kann er sie nicht mehr. Draußen presst der Mond seine Strahlen durch die Rollläden. Zwei, drei, vier oder fünf Autos rasen vorbei, Reifen jaulen kurz auf - dann wieder Stille. Er hat Angst. Lässt sich nichts anmerken. Heute ohne, denkt er. Das schafft er. Das schafft er nicht. Langsam steht er auf, die Treppen hinauf, nur hinauf und dann gleich rechts. Ihm ist, als betrete er sein Zimmer zum ersten Mal. Da liegt es. Da ist es. Ein Griff. Das Rasseln - vorbei.
…


WIE EIN SPINN
(Rainer Wedler)

dich zu lieben
ist gefährlich
und teuer zugleich
weil du mich fressen könntest
muß ich dir Geschenke bringen
damit ich dich hinterrücks
begatten kann
beeilen muß ich mich
wenn du bemerkst
daß ich an dir dran bin
ist es zu spät