DUM NR. 107

THEMA: AUTO
Von Autopilot bis Autodidakt*in
Mit: Daniel Stögerer – Interview * Daniela Dangl * Andrea Ch. Berger * Valerie Zichy * Christine Steindorfer * Sophie Kremslehner-Czerny * Brigitte Scheutz * Gabriela Weiss * Hartmut Holger Kraske * Johannes Witek * Hubertus September * Margarita Kinstner * Gudrun Breyer * Alexander Sprung * ChristiAna Pucher * Sara Schmiedl * Manfred Lipp * Christian Knieps * Caro Reichl * Jürgen Völkert-Marten * Maria Sterkl * Martin Peichl * Ernst Karner * Harald Vogl * Franziska Zussner * Jasin Gerstmayr * flimmern.fischen

Rezensionen: Christian Futscher – Froschkonzert * Robert Prosser – Verschwinden in Lawinen * Alexandre Labruffe – Erkenntnisse eines Tankwarts

Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis

Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.

DUM-Interview: "DRAUSSEN IM GANG SCHLÄGT EINE TÜR AUF UND URLIS GRUMMELN BRODELT ZUR KÜCHE HEREIN" mit Daniel Stögerer



Leseproben aus DUM 107:


GLÜCKSKINDER
(Daniela Dangl)

"Zwa Schülling und des Mohnstriezerl g'hert dir!" Das war mein Pausengeschäft, ich hatte rasch gelernt, gut zu verhandeln. Nachdem ich erfolgreich gegen das tägliche Schmalzbrot protestiert hatte und stattdessen ein Stück Gebäck in meiner Jausendose zäh wurde, bestand kein Problem mehr, meine Sucht zu finanzieren: Geld in Automaten zu versenken. Dabei ging es nicht so sehr um die bunten Kaugummikugeln, die ich mir fast jeden Tag am Weg zur Schule runterdrückte. Der Beschaffungsvorgang war es, der es mir angetan hatte! Diese Selbständigkeit, diese Unabhängigkeit, das Verbotene!

"Hau jo ka Göd fia des oide Klumpat ausse!", warnte mich meine Mutter. "Des in de Automatn is ois ogrennt!" Ich tat es trotzdem. Hie und da ein verdorbener Magen, ein fahler Geschmack - das war das Abenteuer wert. Schon das Herauskramen der Schillinge ließ mich schneller atmen, ließ die Handflächen nass werden. Ein verstohlener Blick zur Seite - jedes Mal! Der Thrill war gewaltig, wenn die Münze fiel, der metallene Stift gedreht oder gedrückt wurde und der Automat die wunderbarsten Dinge aus seinem Inneren spuckte: kugelige Kautschis - später dann Mentholzigaretten und Kondome. In meiner Stadt gab es drei Automaten, in denen mein Erspartes im Laufe der Zeit verschwand.
...



HIMBEEREN
(Valerie Zichy)

das hier ist autofiktion. das ich hier ist autofiktion. das ich hinter diesem text isst gerne himbeeren. das ich hat oft ein schlechtes gewissen. und regelschmerzen. das ich trinkt heiße schokolade. das ich ist fiktiv. das ich ist ich und das ich ist nicht ich. das ich ist babysitterin. das ich zieht überall die schuhe aus. das ich schreibt. das ich schreibt über das ich. das ich hat angst vor der klimakrise. das ich ist carearbeiterin ohne dafür bezahlt zu werden. das ich ist nicht fiktiv. das ich lächelt. das ich hätte gerne eine katze. das ich weint. das ich sitzt am liebsten am boden. das ich tut meistens so als ob. das ich wohnt in einem text. das ich wohnt in einem zimmer in das manchmal die sonne scheint. das ich mag keine veränderungen. das ich mag keine binaritäten. das ich ist meistens überfordert mit der welt, manchmal mit sich selbst. das ich trinkt auch im sommer tee. das ich hier ist autofiktion. das ich ist nicht hier. das ich verlässt diesen text. das ich ist immer woanders.



(V)AU WEH
(Sophie Kremslehner-Czerny)

EINS | Mehr als Autos.
So I remember when we were driving
Driving in your car

Schwitzen.
Im Stau stehen.
Fenster runter kurbeln.
Noch mehr schwitzen.
Coco bello. Coco fresco.
Und Schmetterlinge im Bauch.

ZWEI | Der Wagen, der kein Theater macht.
Sleeping in my car
I will undress you

"Hör auf, was soll das? Wir wollten doch noch warten."
"Jetzt stell dich nicht so an! Du willst es doch auch ..."

DREI | Das Original setzt neue Maßstäbe.
I bought a sports coupe
Just the other day
And a golden wedding ring too

"Sind wir bald da?"
"Wieso? Kannst es wohl kaum erwarten, mich über die Schwelle zu tragen ..."
...



AUTO NOM WOHNEN
(Hartmut Holger Kraske)

Ich bin Kosmopolit. Ich bin ein Weltbürger. Ich fühle mich überall zuhause. ICH BIN überall zuhause! Ich bin stets dort heimisch, wo mein Auto mich hinfährt. My car is my castle, wie die Briten oder die Bürger von Los Angeles gerne sagen. Meine Eltern haben mich in einem Ford Taunus gezeugt. In diesem Fahrzeug bin ich auch aufgewachsen, unterrichtet worden, wurde hier zum Christentum bekehrt. Meine erste sexuelle Erfahrung? Habe ich im Ford Taunus hinter mich gebracht. Heirat? Im Ford Taunus. In einem Hochzeits-Drive-in. Ich weiß nicht mehr, wo sich das Fahrzeug befand. Aber ich und meine Braut - wir befanden uns im Ford Taunus. Das ist ein solides Gefährt und ein treuer Gefährte. Deshalb wohne ich noch immer in diesem Auto. Der Ford Taunus ist mein Zuhause.

Meine liebe Frau hat mich leider verlassen. Sie flog durch die Windschutzscheibe. Nicht freiwillig. Ein Geisterfahrer kam mir entgegen und ich habe eine Vollbremsung hinlegen müssen. Der Ford Taunus hat es überlebt. Der Geisterfahrer ist in letzter Sekunde doch noch ausgewichen. Aber das konnte ich ja nicht ahnen. Nach dem Tod meiner lieben Frau dachte ich daran, umzuziehen, in einen Mercedes oder ein japanisches Fabrikat. Ich kann mich von meinem Ford Taunus nicht trennen. Das Fahrzeug ist mein Zuhause. Habe ich das schon erwähnt?
...



HOMO AUTOMATICUS
(Gudrun Breyer)

Du, ich brauch mal eine kleine Pause, ganz dringend und jetzt, das verstehst du doch?
Ein paar Tage für mich, ganz allein und daheim. Ich sperr Handy und Laptop weg, steck den Fernseher aus, setz mich mit dem Rücken zum Fenster und starre die Wand an, bis ich weiß, warum ich sie in dieser Farbe angemalt habe, warum ich diese Fliesen gekauft haben, diese Vorhänge und Bilder. Warum ich mich im Stil einer Netflixserie eingerichtet habe.
Ich brauch ein paar Tage, um Kleider, Adressen und Termine auszusortieren. Ich will den Mähroboter verschenken und bäuchlings die Grashalme mit der Haushaltsschere schneiden, mir ein Auto ohne Spurhalte-, Brems- und Abbiegeassistenz ausborgen und mich im Waldviertel verirren, will ohne Küchenmaschine backen, zusehen, wie der Saugroboter an meinem Kabelsalat verzweifelt und daneben mit dem Besen zusammenkehren.
Ich brauch ein paar Tage, um in Greißlereien und auf Märkten einzukaufen und nach den Namen der Produzenten zu fragen und um den Verkäufer:innen zu sagen, dass sie mir sympathischer sind als die Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Ich muss mal wieder selber kochen, Zwiebeln anbrennen und Milch übergehen lassen und das Geschirr anschließend händisch abwaschen. Ich will einen Baum aus einem Apfelkern ziehen.