DUM NR. 53

THEMA: ABZIEHBILDER/KOPIEN
Mit: Milena Michiko Flašar - Interview * Gerhild Steinbuch * Renate Silberer * Isabella Feimer * Marc Carnal * Roland Steiner * Mieze Medusa * Traude Veran * Wilhelm R. Vogel * Andreas Weiss * Nicole Mahal * René Steininger * Karin Klug * Sarah Rudolf * Mathias Klammer * Judith Kohlenberger * Steffen Roye * Der Wortvertreter

Rezensionen: Milena Michiko Flašar - Okaasan * Hanna Lemke – Gesichertes * Alex Capus – Der König von Olten * Christian Futscher – Die Blumen des Blutes

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Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 13.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
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DUM-Interview: "Von dem Erlebnis sein Selbstbild abzuziehen" mit Milena Michiko Flašar


Leseproben aus DUM 53:

SILVESTER - EIN NACHRUF
Für Klaus und Schwulsein und Zigaretten und Berlin
(Milena Michiko Flašar)
Still don't know what love means
(Ray La Montagne, Jolene)

An Silvester --- gehen die Lichter aus. An Silvester --- bröckelt der Boden. An Silvester --- gehe ich in Flammen auf. An Silvester --- hängt der Mond seltsam schief.

Ob ich ihm jemals verzeihen könne, steht auf einem abgerissenen Blatt Papier und ich erkenne die Schrift und die Hand, die sie schrieb. Die Buchstaben stehen einsam nebeneinander. Sie laufen in einem fort über den Rand. Ich kann nicht glücklich sein, lese ich weiter, oder wenigstens nicht in einer solchen Nacht! Ein zittriges Rufzeichen. Ein Leuchtsignal. Wie aus einer erloschenen Galaxie. Irgendwo knattern die Knallfrösche. Es ist kurz vor Mitternacht und also zu spät, um es noch einmal - und von Anfang an - wieder gut machen zu wollen. Freds Körper baumelt sinn-los von der Decke. Das P.S. hat er durchgestrichen und ich kann beim besten Willen nicht ausmachen, ob sich darin noch ein letzter Vorsatz krümmt.

Fred hat oft davon gesprochen, einmal und endgültig mit den Zigaretten aufhören zu wollen. Bis heute - hat er es niemals geschafft. Auf seinem Schreibtisch quillt der Aschenbecher über und ich bilde mir ein, dass einer der Stummel noch halbwegs qualmt. Es riecht nach Orangen und silbrigem Rauch. Mir ist kalt und dennoch friere ich nicht. Fred nannte mich gerne seinen Polarbären. Dabei bin ich nur halb so stark wie er dachte. Wenn er über den Tod sprach, habe ich ihm kaum in die Augen sehen können. So unverwandt ging sein Blick über die Dinge, an denen man für gewöhnlich hängt. Den Tisch. Die Stühle. Das zerlesene Buch. Seine Wohnung bezeichnete er mit einer kaum sichtbaren Geste des Befremdens als ein Wartezimmer und sich selbst als einen flüchtigen Reisenden, der nur kurz zwischen zwei Zügen eine müde Rast einlegt.

Man muss nicht traurig sein, meinte er, um sterben zu wollen. Es genügt, wenn man am Morgen kein Gefühl für sich hat. Und: Wer braucht schon einen Grund? Selbst für das Leben gibt es keinen, den man - mit Sicherheit - benennen könnte. "Ach, Fred!", bat ich. "Gerade jetzt --- ist doch dein Atem dein allererster Grund." Aber da hatte er sich schon mit einer gar nicht zu hastigen Zigarette aus dieser Welt bewegt. Saß rauchend in seinem un-frei-willigen Leib. Ging in die Sterne. War gegangen. Noch vor seiner Zeit.
…


BITTE PANIK
(Gerhild Steinbuch)

Ein gemeinschaftliches Wir hat Großes vor. Es betritt den Tag, um gemeinschaftlich Gegenläufiges zu vollbringen, aber in aller Stille; angelaufen werden soll gegen die Angst, nicht gegen das Netz, auf dem man und in dem man steht und auch gestanden wird, mit dem man ein gestandener Mensch wird, weswegen wir dieses Netz auch, genannt aus Einfachheit von nun an unser Netz, um unser Netz also zu unterstützen mit allem, was uns zur Verfügung steht. Das ist nicht viel was zur Verfügung steht, auch in der Gemeinschaftlichkeit lassen sich die Körper - denn ein Körper, das ist etwas, das hinlänglich zur Verfügung steht - bequem auseinanderdividieren. Zwischen uns also wächst die Stadt. Das gemeinschaftliche Wir ließen wir gerne wandern auf gemeinschaftlichem Wege. Wir wandern auf gemeinsamen Wegen, die unter den zwei einzelnen Körpern, die sich nicht verleugnen lassen, auseinanderfallen. Schade. So ein gemeinschaftlicher Weg, das wäre etwas Schönes. So ein gemeinschaftlicher, das wär ein Weg raus, der hätte dieser Stadt etwas voraus: Diese Stadt ist nie gemeinschaftlich, diese Stadt zerfällt, zum Beispiel jetzt: wächst ein Haus wo keines war, wie laufen um den Block, um nachzudenken, aber wir finden den Gedanken nicht, wir finden uns nicht, der hat sich um den Block gewickelt, nein, doch nicht du, und wenn ich ihm nachgeh, dem Gedanken, oder dem andren oder der, oder sie oder er, ein einzelner Körper, das in jedem Falle, weil die Stadt eben keine Gemeinschaftlichkeit zulässt, die ihr was voraus hat, denken wir, die im Voraus was hat, für sich und in sich, denken wir, die ein Mittel hat gegen die Angst, denken wir, die wir kein Mittel haben gegen die Angst, und man doch aber immer so ein Gegenmittel, das gehört sich, wenn ich also dem Gedanken - was war der noch mal?
…


REPEAT
(Marc Carnal)

in den armen der geliebten
fühle ich mich stets im siebten
himmel, blaue fläche, die
wir trotz allem glauben nie
berührenden stoff, wirklich bewegenden,
findest du nicht in den noblen gegenden,
sondern in den armen der geliebten
fühle ich mich stets im siebten
himmel, blaue fläche, die
wir trotz allem glauben nie
berührenden stoff, wirklich bewegenden,
findest du nicht in den noblen gegenden,
sondern in den armen der geliebten
fühle ich mich stets im siebten
himmel, blaue fläche, die
wir trotz allem glauben nie
berührenden stoff, wirklich bewegenden,
findest du nicht in den noblen gegenden,
sondern in den armen der geliebten
fühle ich mich stets im siebten
himmel, blaue fläche, die
wir trotz allem glauben nie
berührenden stoff, wirklich bewegenden,
findest du nicht in den noblen gegenden,
sondern in den armen der geliebten.


FÜR ELISE
(Mieze Medusa)

Für Elise ist an sich alles ganz klar: die Chronik belegt, dass herkömmliche Wege zur Geldbeschaffung irgendwie nicht so toll funktionieren, und wenn Elise bis morgen nicht die Brotvermehrung durch Brotbrechung als Softskill entwickelt, schaut es schlecht aus mit Frühstück. Und Wasser zu Kaffee: das hätte Elise noch gar nicht gehört, dass es das gäbe - ohne Kaffeemaschine und ohne durch Raubbau oder fairen Handel gewonnene Zutaten. Nicht mal bei Gottessöhnchen. Eh klar, so ein Koffein, das macht ja wach und geistig rege. Da sind sich Weltreligionen und Sozialpartnerschaften einig: so fängt man keine Fische. Da ist Hopfen und Malz verloren, wenn die Wahlberechtigten erst mal wissen, dass sie eine Wahl hätten und dann womöglich noch von ihrem Recht dazu Gebrauch machten.

Weil Elise aber keine Lust hat, auf ihr Frühstück zu verzichten, und weil Elise wenig Lust hat, heut noch einen Mann aufzureißen, damit der als morgendliche Minnedienstleistung dann Frühstück holen geht, wenn der Lackel das denn überhaupt täte, denn Elise hat auch schon ihre Erfahrungen gemacht mit dem emanzipierten Mann, muss dringend Geld her und zwar auf möglichst undogmatischem Weg, denn die anderen Wege, die ist Elise mit mäßigem Erfolg schon ein paarmal auf und ab getrampelt.


LINDA IST SIEBEN
(Wilhelm R. Vogel)

Linda ist sieben, dünn und für ein Volksschulkind in der ersten Klasse schon recht groß. Linda hat einen Schlüssel um den Hals hängen. Nur sicherheitshalber, wie Mama und Papa immer sagen, damit sie notfalls auch in die Wohnung kann, wenn noch niemand daheim ist.

Linda kann schon alleine von der Schule heimgehen, aber sie macht das nur sehr ungern. Viel lieber hat sie es, wenn sie der Franz-Opa abholt. Und das macht er eigentlich jeden Tag. "Hallo Franz-Opa!" flüstert Linda. Mit dem Franz-Opa flüstert sie meistens, warum weiß sie selbst nicht. Aber der Franz-Opa hat gute Ohren und kann viel besser hören als Mama und Papa. Und er ist stark wie ein Bär. Früher, als der Franz-Opa noch jung war, hat er Gewichte gestemmt und geboxt. Und das sieht man ihm heute noch am.

"Pullover anziehen, sonst holst du dir den Hustinger!" sagt der Franz-Opa streng. Linda lacht prustend, dann holt sie den Pullover aus dem Rucksack. Sie muss überhaupt oft lachen, wenn sie mit dem Franz-Opa beisammen ist. "Und den Nießinger" ergänzt Linda, "und den Schnupfinger." Der Opa schmunzelt. Sie kann auch schon so lustig reden, wie der Opa.

Der Weg nach Hause ist voller Hindernisse. Das erste Hindernis ist ein besonders schreckliches Monster. Bodo, der kleine haarige Mischlingshund mit den riesigen Ohren, steht aufgerichtet am Zaun und bellt so laut, dass sich Linda die Ohren zuhalten muss. "Wenn du über den Zaun springst, dann wirft dich der Franz-Opa wieder zurück" warnt ihn Linda und Opa nickt. "Bodo", sagt der Opa zu Bodo, "Bodo, ich kenne dein Geheimnis: Du ist eigentlich bloß eine fette Fledermaus, die viel zu viel gefressen hat. Und jetzt tust du, als wärest du ein Hund. Aber das machst du bloß deshalb, weil du mit deinem dicken Bauch nicht mehr fliegen kannst und dich deshalb schämst. Doch deine Ohren verraten dich. Und Fledermäuse fressen bei uns Insekten, also fang dir einen Käfer und lass uns in Ruhe."

"Genau, du fette Fledermaus du!" fügt Linda hinzu. Der Fledermaushund hört tatsächlich zu bellen auf, läuft im Kreis herum, und schnappt nach seinem Schwanz. "Einen Käfer, Bodo!", lacht Linda, "nicht deinen Schwanz!"