INTERVIEW

Interview mit Fabian Faltin
für DUM 54 am 28.05.2010 über Skype
[17:04:33]
Kathrin Kuna: Ich bin da.
Fabian Faltin: Ich bräuchte noch 20 Minuten...
Kathrin Kuna: Geht klar.
Fabian Faltin: Wieder mal völlig verausgabt!
Kathrin Kuna: Asso... Tischtennis... Alles klar.
Fabian Faltin: Bis gleich!
Kathrin Kuna: Yap.

[17:24:58]
Fabian Faltin: Ok ich bin hier. Mein Anwalt sitzt neben mir. Schieß los.
Kathrin Kuna: Okay. 1. Frage: Wie kam's zum Titel?
Fabian Faltin: Den Titel habe ich von meinem Mobiltelefon, ein altes Nokia-Modell. Immer wenn ich versuche "Gute Nacht" zu schreiben, schlägt es "Gute Macht" vor.

[17:29:24]
Kathrin Kuna: Sehr nett. 2. Frage: Was bedeutet "gute Macht" denn für dich, also hinsichtlich der doch eindeutigen politischen Kritik und auch an Esoterik?

[17:31:43]
Fabian Faltin: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem guten Freund, als wir gemeinsam nach Berlin gezogen sind. Damals - und heute wohl immer noch - war der Irakkrieg aktuell, Terrorismus, usf. Er sagte, halb im Scherz, nur ein neuer Mandela, ein neuer Jesus oder dergleichen könne uns aus der momentanen Weltmisere erlösen.
Das ist die Denkfigur - eine Gute Macht, die über aller Komplexität steht und mit durchschlagendem Erfolg eine Zeitenwende einleitet.
Der Dialog ist übrigens in leicht abgeänderter Form im Buch zu finden.

[17:32:48]
Kathrin Kuna: Verstehe. Prinzip: benevolent dictator?

[17:33:36]
Fabian Faltin: Jein. Der Diktator ist ja spirituell und vor allem medial nicht so interessant. Es ist eher der Obama-Effekt. Das kommt ca. hin. Ich glaube, da waren und sind immer noch ähnliche Erwartungen an ein übernatürliches, über-politisches Heil da.

[17:35:05]
Kathrin Kuna: Ist dein Buch nicht eher auch so zu verstehen, dass weder politischer Leader noch Eso-Guru helfen, stattdessen die gute Macht wieder in sich selbst gefunden werden soll?!

[17:37:31]
Fabian Faltin: Nein, ich glaube ich stehe inneren Heilslehren zunehmend kritisch gegenüber; ich glaube nicht das einzelne sehr viel bewegen können, außer für sich selbst und ihr Wohlbefinden. Das ist auch das interessante an meinem Protagonisten, Kirk - er ist nicht sehr interessiert daran die Gute Macht zu sein, sogar ausgesprochen widerwillig, weil er schon ahnt, das wird mit ein wenig positive thinking und Meditation nicht erledigt sein.
Er bekommt eine riesige Verantwortung aufgebrummt ...

[17:38:18]
Kathrin Kuna: ... und zieht sich schnell zurück ... versteckt sich vor dem Leben. Da wär vielleicht ein wenig meditieren nicht so verkehrt, oder?
Fabian Faltin: Wie?
Kathrin Kuna: Er ist ein Antiheld. so wird er ja auch angekündigt in der Verlagsvorschau.
Fabian Faltin: Er ist ja schon zu Beginn sehr zurückgezogen. Dann verschwindet er im völlig Obskuren und Übernatürlichen; "vom Untergrund in den Hintergrund" heißt es dazu zu seiner Entwicklung.
Ich spiele übrigens gerade mit dem Gedanken an ein Buch namens Gute Macht II. Dort müsste ich mich dann wirklich mit seinem Leben als Gott, oder universelle Macht auseinandersetzen, das irgendwie in Worte fassen. Alexander Döblin hat Ähnliches in "Babylonische Wanderung" unternommen - natürlich recht satirisch.
Aber in "Gute Macht" habe ich mich Kirks Dasein als DIE Gute Macht nicht abschließend auseinandergesetzt. Da geht es eher um den Prozess der Metamorphose.

[17:42:48]
Kathrin Kuna: Okay, ich glaub es wichtig, dass du uns deinen Kirk mal vorstellst. Denn ich seh ihn glaub ich anders. Und die Frage des "Mansbüds/Männerbildes" ist hier ja zu stellen.
[17:45:30] Fabian Faltin: Ich habe unlängst eine interessante Entdeckung zu Kirk gemacht: in einem Artikel stieß ich auf die Definition des Depressiven Typus. Da passte er genau rein. Und zwar aus einem bestimmten Grund: die Welt mit ihrer Informationsflut überfordert ihn; sein Nervensystem antwortet darauf mit Depression, einer dumpfen, schwarzen, unüberwindliche Trägheit; ein Abschotten von und Zusammenbrechen jeglicher Kommunikation mit der Außenwelt.
Aber wie gesagt, das ist mir erst vor wenigen Wochen untergekommen. In der Entstehung habe ich mir Kirk eher als einen rechthaberischen, spießigen, ewig-gestrigen Typen gedacht; aber durchaus auch mit positiven Seiten, etwa einem ausgeprägten Skeptizismus. Und eine Aufrichtigkeit, der letzte Akademiker, der sich noch an die Konventionen eines methodischen, rationalen Denkens hält. Und sicherlich auch ein Freak, der glaubt, alles aus seiner Welt aus dem Wohnzimmer heraus zu erfahren; als wäre Wissenschaft etwas für den ganz privaten Hobbykeller. Und noch etwas: Während der Entstehung von Kirk kam es ganz in der Nähe zum Drama um Josef Fritzl. Diese Bunkerstimmung war für mich völlig nachvollziehbar, man findet sie vielerorts in Niederösterreich. Abgewetterte 1950er Einfamilienhäuser ...

[17:50:52]
Kathrin Kuna: Diese Überforderung erscheint mir logisch. Ist es aber nicht gleichzeitig auch eine gewisse Unfähigkeit zur Empathie, wie sich später in der Beziehung mit der Journalistin Cruz herausstellt? Also nicht nur ein Rückzug und eine Besinnung aufs Wesentliche, sondern eine komplette Abschottung - und damit auch von sich selbst ...
Aber du kannst natürlich ruhig auch noch etwas zu den Bunkern in Niederösterreich sagen ...

[17:51:59]
Fabian Faltin: Also gut! Die Bunker sind vor allem ein ästhetisches Phänomen. Davor zunächst einmal das Repräsentationsgrün, sprich ein perfekt getrimmter Rasen der nie von Menschen betreten wird, außer zum Rasentrimmen. Dann steht da ein Tannenbaum, ein Thuje oder Ähnliches, die das Haus beschattet. Oder im Gegenteil der Rasen ist ganz leer bis auf einen Fels oder eine Ritterburg. Das Haus köchelt dann in der prallen Sonne vor sich hin. Seit die Einwohner alle carports haben - korrekterweise mit Wellpolyester abgedeckt - sind die ohnedies leeren Straßen völlig ausgestorben. Die Menschen gehen direkt aus der Haustür in den carport und setzen sich in ihren Jeep oder Kombi. Dann fahren sie zu Billa oder Spar oder Niedrigpreis. Und kaufen alles in Maxi-Packungen, um sich noch besser und auf noch längere Dauer einzubunkern. Über die Vorgänge im Inneren muss ich eher spekulieren, bislang hatte ich nur selten Zutritt. Sicherlich wird viel geputzt, viel ferngesehen, Hausarbeit, Hobbykeller. ORF und aussterbende Frauenzeitschriften wie Tina und Adel Aktuell runden die Bunkerstimmung ab. Die Zimmer sind idealerweise mit gemütlichen Sitzecken und Holzverschalungen auch nach innen hin isoliert und abgedämmt.
Draußen: Niederösterreich, das weite Land, die moderne Agrarmonotonie.

[17:57:55]
Fabian Faltin: Aber wir wollten doch von Emphatie reden, oder?
Kathrin Kuna: Ja.
Fabian Faltin: Kommt die Unfähigkeit zur Empathie vor der Depression oder entsteht sie daraus? Ist Empathie überhaupt eine Fähigkeit? Das klingt recht Leistungsorientiert in meinen Ohren - "das muss man können".
Kathrin Kuna: Das sagt doch niemand. Aber, ich glaub, wollen kann man es. Oder nicht?
Fabian Faltin: Doch, du redest von Kirks Empathieunfähigkeit.
Kathrin Kuna: Okay: Ich denke, er ist unfähig Empathie zu empfinden. Er hat beschlossen sich abzuschotten, einzubunkern. Cruz kommt als Lichtblick, aber in der Beziehung mit ihr wird klar, wie unfähig / unwillig er ist sich auf jemand anderen einzulassen - alles wird ihm zum Feindbild ... (ich sag übrigens nicht, dass sie sehr empathisch rüberkommt ...)

[18:01:39]
Fabian Faltin: Genau, Cruz sollte man auch an die Kandare nehmen!

[18:01:45]
Kathrin Kuna: Lol. Es geht aber hier erst mal um Männer ... Vielleicht unterhalten wir uns mal über die Symbolik der violetten Flamme.
Fabian Faltin: Violette Glaskugel, oder? Oder gibt es tatsächlich eine violette Flamme?
Kathrin Kuna: Alles klar. Ja, die gibt es.

[18:03:11] Fabian Faltin: Übrigens hier in Kreuzberg ist gerade der Krieg ausgebrochen, es wird wieder geschossen auf der Straße. Das passt super!
Kathrin Kuna: Watt??
Fabian Faltin: Ich habe mich ja selber eingebunkert im 4ten Stock. Neuerdings habe ich auch den Computertisch weg vom Fenster ins Innere der Wohnung gestellt. Ein Schritt zurück von sozialen Realitäten!

[18:04:12]
Kathrin Kuna: Versuchst du von der violetten Flamme abzulenken?
Fabian Faltin: Nein. - Die kann ich ganz konkret benennen und ableiten. - Die Kugel - Ich übernachtete einmal in einer Wohnung mit esoterisch inspirierter Einrichtung. Direkt über dem Bett hing diese violette Glasmurmel an einer langen Nylon-Schnur von der Decke. Das Licht im Zimmer war gedämpft, wegen den Insektengittern. Aber ich dachte, wenn sich der Sonnenaufgang auch nicht wirklich in der Kugel fängt, wäre es doch schön wenn er es täte. Am besten von allen vier Seiten ein Lichtstrahl. Diese Wohnung war übrigens im Burgenland, aber man findet sie heute schon überall, und in Amerika sowieso schon seit dem Hippiezeitalter. Ich empfehle dazu die "Whispering Pines" Serie von Shana Moulton anzusehen, man findet das auf YouTube - das definitive Kompendium für alle esoterisch interessierten Menschen.

[18:08:56]
Kathrin Kuna: Interessant. D.h. aber du hast keine Ahnung, wofür das violett steht?
Fabian Faltin: Nein.
Kathrin Kuna: Spannend.
Fabian Faltin: Man sagt aber, oder liest in Frauenzeitschriften, es sei die Farbe einer gewissen sexuellen Unzufriedenheit oder Unentschlossenheit?
Kathrin Kuna: Frauenzeitschriften ... Großartig.
Fabian Faltin: Gutes Thema! Aber wieder ein Minenfeld!

[18:10:40]
Kathrin Kuna: Wie sieht es denn mit deiner Einstellung zur Mundart aus? Kannst du sie sprechen? Sprichst du sie, wenn du in NÖ bist?
Fabian Faltin: Wenn ich sie in Niederösterreich höre oder auch in Berlin, etwa beim Tischtennis, ist das immer ein besonders fragiler Moment. Der Mundart, also dem Dialekt, der lokalen Sprache begegne ich einerseits mit unglaublicher Demut und Respekt vor dem Gewachsenen, Verwurzelten. Andererseits ist es aber nie weit zur Faszination des Exotischen. Was mich dann in meiner Demutshaltung noch künstlich bestärkt. Mit dem Resultat, dass ich bei Mundartgesprächen meistens zuhöre wie du hier mir im Interview.
Kathrin Kuna: Lol.
Fabian Faltin: Was übrigens auch interessant ist, gerade in Niederösterreich und im ländlichen Raum: das Zusammenprallen von Mundarten mit Fachsprachen, etwa aus der Landwirtschaft, die durch Zeitschriften, Werbung, Internet verbreitet werden. Was heißt eigentlich "lol"? Mundart? Digitale Mundart?
Kathrin Kuna: (smile) Ja, digitale Mundart sozusagen. Also: Slang, respektiv slaaaaang für "laughing out loud".
Fabian Faltin: Ah! Ein Anglizismus. Die vermischen sich eben auch mit der Mundart ...

[18:25:09]
Kathrin Kuna: Du schreibst über apokalyptische Einzelgänger in der niederösterreichischen Einöde und textest Lieder zu Massentierhaltung in Berlin ... Wo bist du eigentlich zuhause?
Fabian Faltin: Momentan leider nirgendwo wirklich. Aber andererseits gehört das zum Schreiben dazu.

[18:26:25]
Kathrin Kuna: Überall und nirgends zuhause zu sein?
Fabian Faltin: Nein, nicht überall, sondern nirgendwo.
Kathrin Kuna: Wieso glaubst du das?
Fabian Faltin: Die Heimat offenbart sich durch das Schreiben als Verbindung von Sprachpraktiken, Möbelstücken, Wetterimpressionen, biographischen Begebenheiten usf. Man sieht das Konstruierte daran. Das müsste per se kein Hindernis zur eigenen Heimatfindung sein, aber ich komme mir ziemlich blöd vor jedes Mal, wenn ich auf Heimat mache.

[18:28:19]
Kathrin Kuna: Interessant. D.h. für dich ist Heimat nur ein Konstrukt bzw. kulturelles Konzept.
Fabian Faltin: Das letzte Mal bin ich dafür extra in den Baumarkt gegangen. Ich habe mir so Lichtfußschalter gekauft für meine Lampen hier, damit es so richtig komfortabel, praktisch und heimatlich bei mir wird, aber Heimat kommt eben nicht aus dem Baumarkt. Außer in Niederösterreich.
Kathrin Kuna: Nicht wirklich. Auch dort nicht.
Fabian Faltin: Glaubst du?

[18:29:55]
Kathrin Kuna: Glaubst du nicht an eine Verbundenheit der Leute da draußen zu ihrem Heimatboden. Durchaus auch im gefährlichen Fanatismus verwurzelt...
Fabian Faltin: Swimmingpool, carport, mediterranes Gartenpflaster und Solarlämpchen, daran werden sich die Kinder von heute morgen erinnern, das wird ihre Heimat gewesen sein.

[18:30:22]
Fabian Faltin: Ah, der Boden. Gestern habe ich mich gerade bei K-und-S umgesehen.
Kathrin Kuna: Was ist das?
Fabian Faltin: K plus S, verzeih. K+S gehört weltweit zur Spitzengruppe der Anbieter von Spezial- und Standarddüngemitteln, von Pflanzenpflege- sowie Salzprodukte.
Kathrin Kuna: Versteh. Was machst du dort?
Fabian Faltin: Ich informiere mich über das Nachlassen der Bodenverbundenheit und die Möglichkeiten zur landwirtschaftlichen Ertragssteigerung. Ich glaube übrigens Niederösterreich ist da anders als Restösterreich. Dort kann mit moderner Bodenbearbeitungstechnik gut durchstarten, das Tullnerfeld etwa ist aufgrund seiner Größe und Ebenheit sehr gut dafür geeignet. In Tirol etwa, bei den Bergbauern stelle ich mir das Bodengefühl schon sehr anders vor.
Wobei wer weiß ...
Jedenfalls wäre es interessant Mundart im Konnex mit Landwirtschaft und Boden zu untersuchen. Das führt aber hier sehr weit ...
Nur eines:
Kathrin Kuna: Aber in die richtige Richtung in unserem Fall.

[18:35:42]
Fabian Faltin: Ich lese gerade Natur & Macht von Joachim Radkau, ein wirklich tolles Buch zur Umweltgeschichte. Er redet davon wie die Kompetenz für Umweltprobleme immer weiter Weg von der lokalen zu höheren Ebenen abwandert, wo auch ein ganz andere, nämlich eine Fach- und Expertensprache gesprochen wird. Der Bauer mit seiner Mundart hat nichts mehr zu melden wenn es um Kyoto-Protokoll und Emissionsgrenzwerte geht.
Aber, argumentiert Radkau, der Schlüssel zur Lösung unserer Umweltprobleme liegt wahrscheinlich dennoch beim lokalen Wissen, bei der lokalen Kompetenz und dem ortsspezifischen Verständnis - das sich eben auch mithilfe einer ortsspezifischen Mundart artikulieren muss. Da gibt es also viel zu tun, da hat die Mundart auch absolut eine politische Bedeutung. Wobei ich mir denke, in Bezug auf die Biobauern in Niederösterreich mit ihren Mundartprodukten - auch sie werden sich den Risiken der Kommerzialisierung und Exotisierung aussetzen müssen. Also was wirklich wegweisend sein könnte, wäre wenn sie ihre Sprache weiterentwickeln, etwa gemeinsam mit ihren Konsumenten.
Kathrin Kuna: Das ist der Inbegriff von Exotisierung, wenn der Biobauer seine Schoklad unter Mundartnamen in Berlin verkauft ... Wenngleich auch bewusst eingesetzt ...
Fabian Faltin: Dann ist es aber eben nicht nur ein Verkaufen und Kaufen, sondern eine lebendige Mundart. Das wurde übrigens auch als 'Zukunftstrend' auf der BioFach in Deutschland präsentiert: Konsumentenbeteiligung bei der landwirtschaftlichen Produktion. Für Schriftsteller sowieso ideal.

[18:47:38]
Kathrin Kuna: Schriftsteller werden also zu Werbetextern? Oder zählst du Werbetexter sowieso auch zu Schriftstellern? Du kennst ja beide Seiten.
Fabian Faltin: Nein, ich meine das ganz konkret als Lösung für prekäre Einkommenssituationen - mitarbeiten am Feld, im Stall, bei der Imkerei. Ich selbst bemühe mich beispielsweise auch gerade um eine Lesung im Austausch gegen einen Wochenbedarf Gemüse, bei einer LPG. [Anmerkung Redaktion: das Kürzel LPG kommt aus der DDR und bedeutet "Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft".]
Kathrin Kuna: Und? Was sagen die zu deinem Vorschlag?
Fabian Faltin: Wir müssen nur noch einen Termin finden. Die würden sich sehr freuen.
Kathrin Kuna: Na, das glaub ich schon. Aber wollen sie dich auch in Gemüse bezahlen?
Fabian Faltin: Ich hoffe übrigens auch mit Gute Macht in Niederösterreich vor Ort etwas machen zu können. Ein Exemplar werde ich schon mal einem gewissen Adeg-Kassier schenken. Ja, also das wäre meine Idee. Strikt ökonomisch. Es kostet sie wenig, bringt mir aber weit mehr als das Geld, das ich in Berlin ohnedies wieder nur für Essen ausgebe.

[18:52:28]
Kathrin Kuna: Lass uns doch noch über die Photos im Buch reden, ja? Wie hast du sie ausgewählt?
Fabian Faltin: Okay, also die Auswahl der Photos:
Zur Zeit als ich auf die violette Kugel traf, dachte ich viel über Information und Informationsflüsse nach. Warum etwa reisen wir heute mehr als je zuvor, wo wir zugleich eigentlich auch mehr Informationen über die Welt als je bequem in unseren Wohnungen anzapfen können?

[19:01:45]
Kathrin Kuna: Weil Reisen nicht Informationen einholen, sondern Erleben ist?
Fabian Faltin: Ich befand mich sehr rasch, befinde mich immer noch in einer Protesthaltung gegenüber dem Reisen - dieser Idee, man könne was über Thailand, Australien oder Mexiko erfahren und erleben wenn man dorthin fährt. Man bringt sich um die schönsten Träumereien und Sehnsüchte, aber wieviel Wirklichkeit erlebt man dann schon? Schon am Flugzeug und dann vor Ort werden die Erlebnisse vom Reiseführer vorgeformt. Meistens ist man nur 1-2 Wochen in irgendeinem Weltgebiet, dessen Sprache man nicht spricht, geschweige denn dessen Mundarten.
Und was zurückbleibt ist ein riesiger Haufen Digitalphotos, wie Jagdtrophäen. Also wollte ich mir genau so eine Ansammlung zeitgenössischer Reisephotos vorknöpfen.
Paul Blazek, der Photograph und wohl weitgereisteste Tourist, den ich kenne, stellte mir seine endlose Photosammlung zur Verfügung. Genauer gesagt gab er mir 2 DVDs mit Photos. Ich bat darum die Photos zu anonymisieren, d.h. sie sollten keine für mich erkennbaren Sprachzeichen, Monumente, Personen mehr aufweisen. Ich wollte als Experiment herausfinden, was ich über die Welt in Erfahrung bringen kann, wenn ich zuhause bleibe und mir die Reisephotos anderer Menschen ansehe. Welche Photos bringen dieses heutige, touristisch-allgegenwärtige Welterleben wirklich auf den Punkt? Welche Photos sprechen für Milliarden anderer Photos? Aber auch: Welche Photos würden im Schwarzweiß-Buchdruck gut aussehen? Welche Photos passen atmosphärisch zu der von mir erwünschten Science Fiction - Stimmung?
Die Photos - da sind wir wieder bei dem Heimatthema - mussten zu meiner Ortslosigkeit passen, d.h. ich bringe es einfach nicht fertig wirklich gut über ein konkreten Ort, wie z.B. Wien oder Tulln zu schreiben. Da müsste man tausende Seiten schreiben. Da müsste man eigentlich dieser Ort sein. Also kann ich nur in abstrakten Orten Handlungen und dergleichen aufbauen. Da tut es mir nicht weh, wenn ich nicht allen und allem gerecht werde, den Details, und eben auch der Mundart.
Es ist auch ein gutes Stück Schriftstellerischer Faulheit dabei; die geht aber hoffentlich auch als Fantasie durch!

[19:11:38]
Kathrin Kuna: Würdest du sagen, dass Etwas-Gerecht-Werden-Wollen etwas Männliches oder etwas eher Weibliches ist?
Fabian Faltin: Ich finde darin keine Geschlechter - spezifische Qualität; ich kenne es bei Männern und Frauen gleichermaßen; wenngleich mit anderen Nuancen.

[19:12:43]
Kathrin Kuna: Danke für die ausführliche Antwort zu den Fotos. Bist du mit dem Endprodukt - der Text/Foto-Komponente und der Verständlichkeit zwischen den beiden zufrieden?
Fabian Faltin: Übrigens, die Photos werden demnächst auf meiner Website in Farbe zu sehen sein. Für alle, die ihre Urlaubspläne nochmals überdenken wollen! Bzw. denen das Geld dafür fehlt!
Kathrin Kuna: Lol. Lassen sich sicher gut anschauen im Bunker. Und dann mit Googlemap virtuell hinreisen ...
Fabian Faltin: Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch gar nicht entschieden ... aber es wird eine sehr spannende Frage des Lektorats werden. Am liebsten wäre mir wenn sich Zufriedenheit und Unbehagen mischen ...

[19:16:05]
Kathrin Kuna: Sag mir doch bitte noch, ob du beim Schreiben oder davor/ danach Musik hörst. Welchen Einfluss hat Musik auf dein Schreiben?
Fabian Faltin: Nein, strikt keine Musik beim Schreiben, danach allerdings sehr viel. Gerade in Niederösterreich, wo es sonst nicht viel zu tun gibt.
Kathrin Kuna: Der Roman ist aber großteils in Berlin geschrieben worden / entstanden, richtig?
Fabian Faltin: Nein, gar nicht. Berlin und Schreiben, das passt zunehmend nicht zusammen. Zum hier abgedruckten Text allerdings: Sugar in the Morning lernte ich zuerst als Ausruf beim Tischtennis kennen - eine lokale Besonderheit hier in Kreuzberg. Dann zeigte sich: Das ist ein Johnny Cash Song. In Berlin wird nur notiert, bzw. kürzere Texte werden verfasst, oder non-fiction. Gute Macht ist wirklich durch und durch ein Niederösterreich-Buch - auch, wenn das wahrscheinlich niemandem auffallen wird! Wobei - wie gesagt - das Material natürlich keinesfalls nur aus Niederösterreich stammt.

[19:19:50]
Kathrin Kuna: Hast du einen Lieblingsautor? Eine Lieblingsautorin?
Fabian Faltin: Darf man etwas nuancierter antworten?
Kathrin Kuna: Klar. Mach ma (smile).
Fabian Faltin: Also, für Gute Macht war sicherlich entscheidend Selina von Walter Kappacher - er kommt dem Ideal einer völlig handlungsbefreiten Literatur sehr nahe, und ich habe mir abgeschaut, wie man so viele Seiten ohne wirklichem 'Plot' zustande kriegt; ein sehr wichtiges Kappachersches Mittel ist der Strichpunkt, von denen ich viele gebrauche ...
Auch Christian Kracht war wichtig, in der Prägnanz, der Kürze und Reinheit seiner Bücher, die fast wie Gleichungen sind.
Das waren die konkreten Einflüsse. Dann gibt es die ewigen Lieblingsautoren und -autorinnen die immer im Hinterkopf herum geistern. Raymond Chandler, und fast sämtliche Autoren und Autorinnen der Editions de Minuit, wie Jean Echenoz und Marie Ndiaye. Aber es ist immer eine leicht politische Angelegenheit, wie die Einflüsse und Sympathien gerade gelagert sind, also gibt es in dem Sinn sicherlich keine permanenten Lieblingsautoren oder Lieblingsautorinnen.

[19:26:56]
Kathrin Kuna: Was heißt denn nun "Sugar in the morning" beim Tischtennis??
Fabian Faltin: Punkt! Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein besonders guter. Und vor allem auch, wie auch in der Geschichte, das Punkten eines Älteren, körperlich womöglich schon ausgelaugten, gegen einen Jüngeren, wie mich.

[19:28:38]
Fabian Faltin: Übrigens, eine sehr spannende Lieblingsautorin ist mir heute wieder eingefallen, die muss ich unbedingt wiederentdecken: Enid Blyton. Ihre Bücher habe ich 4 Jahre lang als Noch-Kind permanent verschlungen, sicher an die hundert. Das muss sich irgendwie ausgewirkt haben ... The famous five! ... Aber auch sehr moralisierende Geschichten, wie mir scheint. Und immer unglaublich kompakt, ausgewogen, wirklich zum verschlucken.

[19:32:55]
Kathrin Kuna: Du bist zweisprachig aufgewachsen. Deutsch-englisch, hast dann ja auch in London studiert. Und jetzt schreibst du fiction in Deusch und non-fiction in beiden Sprachen, korrekt?
Fabian Faltin: Ja, die Zweisprachigkeit ist letztlich auch eine Erweiterung der Heimatlosigkeit ... Ja, wobei auf englisch die Texte zunehmend semi-fiction sind. Und in Deutsch werde ich vielleicht auch immer weniger fiktiv schreiben. Mal sehen.
Kathrin Kuna: Wie jetzt? Das war dein erster und letzter Roman? Also veröffentlichter, mein ich.
Fabian Faltin: Ich sehe Gute Macht insgeheim eher als Gedankenexperiment, ich schreib aus einer relativ rationalen Haltung heraus. Geschichten und Literatur, allen voran meine eigene finde ich zunehmend fragwürdig ...
Wohin mit diesen ganzen Geschichten?
Kathrin Kuna: Durch die Köpfe in die Herzen.? Und auch umgekehrt ...
Fabian Faltin: Ja, okay, aber warum erzählt man sie sich nicht einfach von Mund zu Mund? Warum muss ich einer Buchhandlung fremde Geschichten zukaufen?
Kathrin Kuna: Weil alle im Bunker fremde Urlaubsfotos anschauen und über Fernreisen schimpfen
Fabian Faltin: Nur die vernünftigen! Bzw. die Ratlosen! ...
Glaubst nicht, dass man Fiktion grundsätzlich in Frage stellen darf?
Kathrin Kuna: Natürlich. Ebenso wie die Realität.
Fabian Faltin: Ich denke, da herrscht heute insgesamt ein sehr konservatives Klima. Auch bei den Verlagen. Mir sagte einmal ein Lektor, ich solle möglichst ausführlich einen Stuhl beschreiben, die Leute liebten das. Weil man ihnen halt immer nur das vorsetzt.
Kathrin Kuna: ...

[19:41:44]
Fabian Faltin: Zu recht hat Thomas Bernhard also gesagt: "Interessant sind große Aktionen." Und große Gedanken natürlich auch.
Kathrin Kuna: ... Thomas Bernhard vertrau ich da auch nicht ganz.
Fabian Faltin: Ja, jetzt mal Schluss mit dem ganzen positiven Zeugs! Sicherlich, es ist dann auch wieder nur ein Statement, wenn etwa gleich zu Beginn von Watten irgendjemand sein ganzes Millionenerbe an ein Gefängnis abtritt.

[19:42:57]
Kathrin Kuna: Ich glaub schon, dass Fiktion / die Literatur wieder vermehrt zurückkommt zu Geschichten, die auf Gefühle fokussieren, Gefühle und Emotionen erzeugen. Immer mehr Bücher handeln in letzter Zeit vom Tod beispielsweise. Hat mir auch unsere Buchhändlerin in der Falckensteinstraße bestätigt.
Fabian Faltin: Und was hältst du von dieser Entwicklung?
Kathrin Kuna: Ich finde sie ist zu beobachten. Es gibt viel Schund, viel flache Emotionen. Aber es gibt auch viele interessante, gute Ansätze darunter - wie eben Milena M. Flasar. Ich finde sie hält Emotionen, ganz große Gefühle, in einer ganz klaren Sprache fest.
Die nächste Frage ist natürlich: es kann nur ein Leser erreicht werden, der auch bereit ist, sich sowas reinzuziehen und nicht etwa sagt: "Ah Scheiße, Tod, ne heute nicht." Und dafür wird es dann weiterhin science fiction geben, wo alles schön codiert ist. Am Ende geht es überall um Emotionen, um die wirklich großen Gefühle. Wir haben keine Zeit mehr Stühle lange zu betrachten... und in Wirklichkeit auch nicht, um uns über Stühle recht viele Gedanken zu machen ... Das soll jetzt nicht apokalyptisch klingen, aber ich denke Popliteratur á la Kracht ist passé. War wichtig, auch sprachlich, führt aber nicht mehr zu neuen Erkenntnissen. Für mich waren die stärksten Teile deines Buches auch die zwischen Cruz und Kirk. Diese Liebesunfähigkeit. Das sind die Teile des Romans, die viel über unsere Gesellschaft und unsere Generation aussagen. Eine Beobachtung, wie nur du als Autor sie siehst und aufschreiben kannst - so zeigst du hin. Hinschauen müssen die Leute dann selbst.
Fabian Faltin: Hm, da berührst du wirklich alle Fragen, was wir uns denn eigentlich Literatur zu erwarten haben, wozu sie dient, wem sie dient. Ich kann da schwerlich eine Zeitdiagnose abgeben. Kracht etwa ist zum Beispiel für mich nicht in irgendeiner Weise passé, er hat gute Werkzeuge zu bieten und auch einen ziemlich guten Humor .. aber wie gesagt, die Autoren kommen und gehen, hoffentlich immer wieder, und nicht nur für eine 'Saison'. Ich glaube meine momentane Präferenz ist für Literatur als Gedankenexperiment, als Verständnis-Experiment. Das vermisse ich heute wirklich allerorts.
Kathrin Kuna: Ich glaube nicht, dass Krachts Humor oder sein Werkzeug passé ist, ich glaube, dass seine zynisch-distanzierte Art auf die Menschen zu schauen passé ist.
Fabian Faltin: Ja, vielleicht, aber das ist doch gar nicht das interessanteste dran. Gerade denke ich mir: Ist Literatur nicht eher in die Kategorie der Geduldspiele einzuordnen, sowohl für Produzentinnen als auch Konsumentinnen? So etwas wie ein Rubriks Cube. Man sitzt da und liest. Entweder denkt man oder spürt man. Man denkt, ich sollte mehr spüren. Man spürt, es wäre wieder mal an der Zeit etwas zu denken.

[19:56:13]
Kathrin Kuna: Naja .. idealerweise kommt man gar nicht in so einen Zwiespalt ... das eine ist nicht vom anderen getrennt.
Fabian Faltin: Vielleicht ist die Frage wirklich, was wir mit der Sprache in der Zeit machen. Und da finde ich die Mundartdiskussion sehr interessant - vielleicht nicht als Rückkehr zum Oralen, aber doch im Sinne einer viel situierteren, lokaleren literarischen Praxis, als dies im sog. "Literaturbetrieb" möglich ist.

[19:57:39]
Fabian Faltin: Ja, das stimmt wohl, bzw das wird einem heute ständig eingeklopft!
Das Denken habe emotionale Komponenten, hört man sehr oft; schon viel weniger oft das Gegenteil, also das Emotionen eigentlich gedankliche Ereignisse sind ...
Ich muss langsam los, zu einem Vortrag über Hubschrauber! Vorträge finde ich übrigens ein sehr vielversprechendes literarisches Format. Ich hoffe es gelingt mir die Lesereise eher als performative Vortragsreise zu gestalten.

[20:00:34]
Kathrin Kuna: Vielen Dank für das Interview und viel Spaß beim Vortrag!!

[20:00:41]
Fabian Faltin: Danke dir!


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