©MD.Prohaska/Mosaik
SCHLAGLÖCHER DES ALLTÄGLICHEN

Markus Köhle interviewt: Katherina Braschel
"That's the real Alltag, Alter" war der Titel der Besprechung von "es fehlt viel" in der letzten DUM-Ausgabe. Nun - noch vor dem Sommer - hat Markus Köhle die Autorin Katherina Braschel zum Mail-Interview gebeten und es ging fröhlich zur Sache.


DUM: Wir durften dich mit Kurzgeschichten im DUM bereits abdrucken, du bist mit deinen Kurzgeschichten sehr erfolgreich und bepreist. Warum der Entschluss als Buch-Debüt eine andere Form zu wählen? Wie sind Entschluss und Form entstanden?

Hm, ich würde sagen: warum nicht? Natürlich gibt es diesen Druck im Literaturbetrieb, dass die Erstpublikation ein Roman sein muss, das habe ich auch im Vorfeld des Erscheinens gemerkt, wenn immer wieder die Frage kam "Wie, kein Roman? Wie, ohne Genrezuordnung?". Aber genau das auch herauszufordern, fand ich schön. Und die edition mosaik zeichnet für mich neben ganz vielen anderen Dingen schon auch aus, dass die Menschen dahinter an unkonventionelle Literatur glauben und dieses Projekt auch wirklich haben wollten.
Die Form an sich hat sich für mich gleich zu Beginn des Arbeitens, also des Dokumentierens, ergeben. Mir war es wichtig, diese löchrigen Verflechtungen des Alltags auch wiederzugeben: wir sind irgendwo, denken an Sache 1, mit einem Ohr hören wir, was eine vorbeigehende Person sagt, gleichzeitig fällt uns plötzlich Sache 2 ein, die nichts mit Sache 1 zu tun hat und dann sticht uns auch noch etwas ganz anderes ins Auge.
Ich habe also dokumentiert und gesammelt, unendlich viel notiert und dann herum probiert, wie ich was zusammenfügen kann.

Ich finde ja, dass durch deine gewählte Form Gegenwart (Innen- und Außensicht) viel realer abgebildet (verschriftlicht) wird als durch eine konventionelle Erzählung (die in Wahrheit sehr abstrakt und weit von der Realität weg sind).
Machst du das Dokumentieren und Sammeln nach wie vor oder ist das vorerst für dich abgeschlossen? Wenn ja, ist eine es-fehlt-viel-Fortsetzung geplant oder fließen die Beobachtungen in andere (welche) Projekte ein? Will heißen: Was hast du alles angefangen in und mit der Quarantänezeit?

Schön, wenn du das so empfindest. Gerade deswegen war es mir zum Beispiel auch wichtig, die (scheinbar) banalen Dinge im Buch drin zu lassen, wie die Sparmitarbeiterin, die "Grüß Gott!" sagt oder das Hotelschild gegenüber, das an- oder ausgeht.
Eine Fortsetzung von "es fehlt viel" ist nicht geplant, das war für mich ein nie fertiges, nie abzuschließendes, abgeschlossenes Projekt. Beobachten, Wahrnehmen, mir Dinge notieren, das mache ich die ganze Zeit und ich denke, das machen im Grunde alle Kunstschaffenden. Wir leben ja in Zusammenhängen, enge und weite, und die fließen selbstverständlich in unser Tun ein. Es gibt viele, meist sehr kleine, Dinge wie Handbewegungen oder die Art, wie jemand ein Wort in einen Satz einbaut, die für mich ganz viel erzählen und das findet sich dann in den Texten wieder.

Mit der Quarantänezeit ist es ein bisschen lustig: in den Monaten zuvor habe ich mich sehr nach einem Aufenthaltsstipendium oder so gesehnt, abgeschieden in Ruhe an meinem Roman schreiben zu können ... Tja, die tatsächliche Isolation hat dann sehr anders ausgesehen, das Schreiben ging gar nicht. Ich habe sehr viel mit Freund*innen telefoniert, videofoniert, geschrieben etc., das war mir auch wichtig. Ansonsten habe ich mich von der Ungewissheit des allgemeinen Zustands sehr gehemmt gefühlt. Fünf Wochen lang war ich quasi ganz allein, ohne körperlichen Kontakt zu anderen Personen, das war eine aufreibende Erfahrung, ich habe sehr viel über kollektives Leben, Nähe und Beziehungen in allen Formen nachgedacht.

Und was ist dabei raus gekommen?
Eine Beziehungsformenformel, die die Antwort auf alle Fragen liefert?
Was ist dir künstlerisch am meisten abgegangen in den komischen Lockdown-Wochen? Du bist ja sowohl veranstalterisch tätig als auch (zumindest in "es fehlt viel") Teil eines Theaterkollektivs. Und deine Wohnsituation hat sich mittlerweile also auch geändert. Im Buch bist du ja noch in einer WG. Bisschen viel für eine Frage?

Jedenfalls nicht zu viel, trotz der großen ersten Frage. Ich fang mal anders herum an, zu beantworten.
Meine Wohnsituation hat sich nicht geändert, meine wunderbare WG (Bussis!) gibt es immer noch. Die ersten fünf Wochen war ich in Salzburg im Haus meiner Mutter (mit der ich aber sehr distanziert auf zwei Mini-Stockwerken gewohnt habe), weil ich nach unserer abgebrochenen Lesereise quasi dort gestrandet bin. Das Theaterkollektiv HIRA* gibt es seit 2017 schon "nur" mehr als Freundinnen-Kollektiv, da drei von uns fünf damals weggezogen sind. Die gehen mir künstlerisch sowieso immer ab, sind aber gleichzeitig auch nicht (mehr) aus der Welt. Ansonsten hab ich einerseits wirklich den AnnoLiteraturSonntag, das Cafe Anno und die ganzen dazugehörigen Menschen sehr vermisst, dieses zweite Zuhause im Stammbeisl, das eine Bier, das man halt dann doch noch gemeinsam an der Bar trinkt. Andererseits hat mir das unter Menschen sein und die Spontaneität im Alltag enorm gefehlt, das Beobachten- und Aufschnappenkönnen. Ich habe total gemerkt, dass das keine bewusste Einsamkeit im Rückzug ist, die mich kreativ fördert, sondern ein Abgeschnittensein, wo dann eben viel fehlt.
Beziehungsformeln habe ich grundsätzlich keine, das ist glaube ich auch am gesündesten so!

Ad "am gesündesten". Viele deiner Beobachtungen finden in Wartezimmern diverser Ärzt*innen statt. Muss DUM sich Sorgen machen? Wie bist du versichert? Wie bestreitest du deinen Lebensunterhalt? Wie sehr hat dich Corona finanziell getroffen? Was hältst du von einem Grundeinkommensmodell für Künstler*innen?

Ich habe zwar die Tendenz, immer irgendwelche absurden Krankheits-Sachen zu bekommen, die dann wiederum seltsam verlaufen (ich habe schon so oft "Des gibt's ja nicht!" aus dem Mund von Ärzt*innen gehört, langsam wird's fad), aber sorgen muss sich das DUM nicht. Diese Häufung der Wartezimmer entstand einerseits aus den chronischen Schmerzen, die an anderer Stelle im Buch genannt werden, und andererseits daraus, dass ich an diesen Nicht-Orten wie in Wartezimmern, Straßenbahnen etc. viel aufnehmen konnte. Es sind diese Zwischenorte, die viel Wahrnehmen möglich machen.

Ich bin selbstversichert und hatte schon sehr viele Jobs in recht lustigen Zusammensetzungen, natürlich immer alles prekär, man kennt das ja. Seit zwei Jahren bin ich bei einer wunderbaren Familie Kinderbetreuerin und aktuell auch am Österreichischen Filminstitut als Analystin tätig. Meine Lebenserhaltungskosten halte ich recht niedrig, daher geht sich das schon immer irgendwie aus, aber es ist ein ewiges Hin und Her. Corona hat mich insofern getroffen, als dass mir viele Lesungen, vor allem aber auch die Buchpräsentation weggebrochen sind. Das wirkt sich natürlich auch indirekt finanziell aus: keine Buchpräsentation, weniger Aufmerksamkeit, weniger Besprechungen, weniger Buchverkäufe und so weiter. Dazu die vielen Einschränkungen, was das Ansuchen um Stipendien und Förderungen angeht, da hatte ich schon so einige Wutanfälle. Tja, und der Lohn aus der Kinderbetreuung war natürlich auch fast drei Monate weg.
Von einem Grundeinkommensmodell für Künstler*innen halte ich gar nichts. Es braucht ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle! Das auf Künstler*innen zu beschränken, spaltet nur dort, wo es Solidarität miteinander braucht.

Ist Wut ein Motor für dein Schreiben? Sind Kinder Inspiration? Hat Corona deiner Meinung nach die Solidarität im Land gestärkt oder erst recht wieder zwiegespalten?

Alles kann ein Motor sein, vom Scheißhäuslpapier bis zu den alltäglichen Miesheiten des Patriarchats. Also klar, Wut auch. Kinder auch, die stellen einfach sehr oft sehr coole Fragen oder sagen Sachen, die mich beeindrucken. Wichtig fürs Motorenröhren ist, dass es mich berührt, auf welche Weise auch immer. Das kann ja auch tagesverschieden sein.
Corona hat in meinen Augen schlicht die gesellschaftlichen Dynamiken sichtbar(er) gemacht, die sowieso da sind. Und das sind nun einmal die einer kapitalistischen unsolidarischen Leistungsgesellschaft. Dass es viele Menschen gibt, die kein Zuhause haben, wo sie #stayathome machen können, dass der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eben nicht für alle immer gegeben ist, dass man zwar ein bisschen vom Balkon klatscht für die Arbeitenden im Sozialbereich, aber sich natürlich nicht ernsthaft deren Forderungen von "vor Corona" anschließen oder sie gar dabei unterstützen würde, dass der Massenmord im Mittelmeer Herrn und Frau Österreicher im Grunde wurscht ist, weil's ja weit genug weg passiert etc. etc.

Es gibt also Schreibgründe genug. DUM hofft, dass du uns als Einsendende geneigt bleibst, wünscht viel Erfolg mit "es fehlt viel" und freut sich auf eine Fortführung des Gesprächs beim Anno Literatur Sonntag mit Bier, Abstand aber Augenkontakt.

Danke euch und ja! Bier im Anno! Sowieso!



< zurück