©Robert Saringer
SCHLUPFLÖCHER, RISSE UND PFERDELEBERKÄSE

Markus Köhle interviewt: Harald Darer
Auf "Wer mit Hunden schläft" und "Herzkörper" folgt der dritte Roman von Harald Darer: die "Schnitzeltragödie". Aufbruch, Umbruch, Neubeginn - das sind die großen Themen. Aber auch Erinnerungsarbeit anhand von Gegenständen, und unterschiedlichen Betrachtungsweisen (was die Leute sagen, was in der Zeitung steht, wie's wirklich gewesen sein könnte) räumt der Autor viel Platz ein. Das ist mal bitter böse, mal absurd abschweifend, aber immer im besten Wortsinn unterhaltend. Freilich, leicht kann eine "Schnitzeltragödie" nicht sein. Aber sie ist frisch, goldig gebacken und perfekt kredenzt. Markus Köhle bat Harald Darer zum Mailinterview, das sich über mehrere Tage erstreckte.

DUM: Ein Eingeständnis vorweg: Ich bin richtiggehend neidisch auf den Titel. "Schnitzeltragödie". Treffender und deftiger geht es kaum, um österreichische Geschichten zu erzählen. Das Fleisch dieses Romans sind mehrere Tragödien, die Panier - die Rahmenhandlung - ist ein Aus- und Umzug, ein Neubeginn. Sind Sie - im Leben, Schreiben, sonst so - gut in Neubeginnen?

Titel sind heikel, ich tu mir grundsätzlich schwer bei der Titelsuche. Meistens habe ich zwar schon einen bevor ich zu schreiben anfange, der bleibt aber nur so lange bis ich fertig bin, dann will ihn erfahrungsgemäß keiner, ich auch nicht mehr. Bei der "Schnitzeltragödie" war es anders, der Titel hat mir sofort gut gefallen, darauf konnten der Verlag und ich uns bald einigen. Und, nein, in Neubeginnen bin ich schlecht. Ich bin jemand, dem es gefällt, wenn alles so bleibt wie es ist. Warum man aus der sogenannten Komfortzone heraus möchte, kapier ich nicht. Wenn sich etwas Grundlegendes in meinem Leben ändern muss, wird mir eher schlecht. Da kommt mir das Schreiben entgegen. Auch wenn ich bei einem neuen Projekt wieder bei null anfange, ist der Akt des Schreibens doch eine Kontinuität in meinem Leben die mich beruhigt. Da gehe ich mit dem Protagonisten in der "Schnitzeltragödie" d'accord: Auch wenn sich was ändert, die Welt muss jetzt nicht unbedingt niedergerissen werden.

DUM: Schreiben beruhigt Sie? Macht Sie dann das Nichtschreiben nervös? Sind Sie ein disziplinierter Schreiber? Haben Sie Schreibrituale? Schreiben Sie am Küchen-, Kaffeehaus- oder Schreibtisch? Mit Hand oder gleich in den Computer? Ich weiß, das war jetzt eine Fragenflut, ich hätte auch fragen können: Wie schaut Ihr Schreiballtag aus?

Dem Schreiben vorausgehend ist ein, nun ja, unausgeglichener Gemütszustand, eine Unzufriedenheit, eine Wut auch. Die wird für das Schreiben am besten zusammengespart. Das geht natürlich nicht immer, weil ich nicht immer eine Wut oder eine Unzufriedenheit habe, aber regelmäßig schreiben sollte, weshalb ich die Frage, ob mich das Nichtschreiben nervös macht, beziehungsweise das daraus resultierende schlechte Gewissen, bejahen muss. Schreiballtag habe ich keinen, der Grund: Zwei kleine Kinder und eine 38,5 Stunden-Arbeitswoche. Daher schreibe ich zwischendurch, wann und wo es mir möglich ist. Zuerst handschriftlich kurze Notizen, das sind Wörter, die mir gefallen, Szenen, die ich beobachte, Erinnerungen, die plötzlich auftauchen. Daraus entstehen dann meine Texte am Computer. An Disziplin fehlt es mir leider seit Kindheitstagen, zu lange Schreibunterbrechungen versuche ich trotzdem zu meiden.

DUM: Das klingt nach nicht viel Zeit zum Schlafen und da drängen sich natürlich mehrere Frage auf: die nach der 38,5-Stunden Tätigkeit, die nach dem Alter der Kinder und die, ob es ein Ziel ist, "nur" vom Schreiben leben zu können.

Wie so vieles ist das alles-unter-einen-Hut-bringen eine Gewohnheitsangelegenheit. Seitdem ich die Schule abgebrochen und eine Lehre gemacht habe, habe ich immer einen sogenannten Brotberuf gehabt und gleichzeitig geschrieben, weil es ein Grundbedürfnis für mich gewesen ist. Es gehört für mich dazu wie meine Arbeit im Büro - technischer Angestellter im klassischen Großraumbüro mit Kaffeküche, mind. fünfprozentigen Forecastvorgaben und Weihnachtsfeier -, das Herrichten der Kinder - 2 + 5 Jahre - in der Früh, Kindergarten, und so weiter. Vom Schreiben leben zu können ist kein Ziel (mehr). Wenn es sich ausgeht, schön, aber ich bin auch preis- und stipendiumslos glücklich. Die größte Freude habe ich wenn ein neuer Text, eines neues Buch erscheint und natürlich wenn dieses Buch auch gelesen wird.

DUM: Dann störe (bzw. sorge ich gerade für Abwechslung) in der Arbeit?

So ist es (Abwechslung, nicht Störung). In diesen Schlupflöchern entsteht meine Literatur. Nachsatz zu den Stipendien: das hindert mich nicht daran meine Sachen bei Hinz und Kunz einzureichen.

DUM: Jetzt dachte ich schon ich hätte mit "Preislos glücklich" meine Überschrift gefunden, dann kommt der Sager mit "In diesen Schlupflöchern entsteht meine Literatur" - sehr schön. Sie scheinen ein ausgesprochener Schlupfloch-Aufspür-Spezialist zu sein. Die "Schnitzeltragödie" ist ihr dritter Roman, dazwischen liegt jeweils nur ein Jahr oder 365 Tage. Was mich zum "Dreihundertfünfundsechziggutenachtgeschichtenbuch" bringt, das eine wichtige Rolle im aktuellen Roman spielt. Der Protagonist zieht die formal unterschiedlichsten Geschichten aus diesem Buch. Vielstimmigkeit und Formenvielfalt zeichnet die "Schnitzeltragödie" aus. Als Kernthema habe ich in Summe atmosphärisch dichte Erinnerungsarbeit ausgemacht. Liege ich da richtig?

Ja, das stimmt. Zu Beginn hatte ich einen Kurzgeschichtenband geplant. Beim Schreiben stellte sich aber heraus, dass sich das Erinnerungsthema bzw. wie flüchtig und nicht vertrauenswürdig diese beschriebenen Erinnerungen sind, durch alle Geschichten zieht und dass sie trotz der verschiedenen literarischen Formen als Roman funktionieren könnten. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es geht, aber ich denke, es ist sich ausgegangen. Die Schlupflöcher und Risse in alltäglichen, banalen Geschichten zu finden interessiert mich. Der Moment, in denen die Dinge in eine Schieflage geraten.

DUM: Das geht sich sehr gut aus. Und das war gerade eben ein klassischer Austriazismus. Davon finden sich sehr viele in Ihrem Text. Von der Urstrumpftante, der Gattihose, dem Goderl über die Itüpfelreiterei bis zum wunderschönen, viel zu selten gelesenen, traumhappert. Auch Wendungen wie "eine Gemeinheit bis dorthinaus" erfreuen einem bei der Lektüre. Sammeln Sie derartige Wendungen und Wörter, um sie bei Gelegenheit dann anzubringen bzw. wie wichtig ist Ihnen der österreichische Sound?

Ich mag diese typischen österreichischen Ausdrücke sehr gerne, vor allem weil oft viel mehr in ihnen drinnen steckt als sie vorgeben und auch eine Haltung von demjenigen wiedergeben, der sie benutzt. Trotzdem will ich nicht darauf herumreiten, ich versuche darauf zu achten, dass die Sprache dadurch nicht zu bemüht oder zu geschwätzig wird. Also kann ich sagen, dass der österreichische Sound mir schon ein bisschen wichtig ist. Überhaupt finde ich die mutmaßlich sinnlos verspielte österreichische Literatur viel erfrischender, als die hehre, ernsthafte deutsche.

DUM: Es wird auch viel und gern gegessen in Ihrem Roman. Wie halten Sie's mit dem Fast Food? "Pferdeleberkäsziegel", Schnitzelsemmel oder ganz was anderes?

Mit Pferdeleberkäse verbinde ich romantische Kindheitserinnerungen, und weil ja früher bekanntlich alles besser war, weine ich diesem Pferdeleberkäse bis heute nach. Ich bin Allesfresser, in Gesellschaft kann es gerne lange dauern, da lege ich schon mal ein großes Stück Fleisch auf den Grill und lasse es zehn Stunden dahin garen und verkürze mir die Wartezeit mit Bier. Aber auch eine Leberkäs- bzw. Schnitzelsemmel für Zwischendurch schmeckt mir ausgezeichnet.

DUM: "Was ich höre und lese, sind Sprachpalatschinken", lassen Sie Ihren Protagonisten an einer Stelle sagen. Was hören und lesen Sie gern (bzw. gerade)?

Gerade lese ich einen Geschichten- und Essay- Band eines alten Helden von mir: "Held außer Betrieb" von Charles Bukowski und Walter Kempowskis "Im Block". Schmöker lese ich seltener, komprimiertes mag ich lieber, auch Lyrik. Österreichische Autoren die ich zuletzt gelesen habe waren Friedrich Achleitner, Werner Kofler, Karin Peschka und Gustav Ernst, der mich auch seit meinem ersten Buch in meinem Schreiben bestärkte. Dazu kommen Literaturzeitschriften wie Kolik, Schreibkraft, DUM. Meine Ohren hören sich gerade an der letzten Napalm-Death-Scheibe "Apex Predator - Easy Meat" wund. Zum runterkommen serviere ich mir Tom Waits, Ludwig Hirsch oder die Tiger Lillies, zum Beispiel.

DUM: Apropos runter- und rauskommen. Zum Abschluss vielleicht ein Beamtenwitz?

Ich kenne nur einen schlechten: Warum wird immer so auf den Beamten herum gehackt? Die tun doch gar nichts.

DUM: In diesem Sinne. Schönen Nachmittag noch, viel Erfolg mit der "Schnitzeltragödie" und vielen Dank für das Interview.

< zurück