EINRAD
FÜR
ANFÄNGER

WOLFGANG KÜHN interviewt: Christine Teichmann
Christine Teichmann ist Schriftstellerin, Artistin, Shopdesignerin und Mutter. Im DUM-Interview erzählt sie unter anderem über die Faszination Zirkus und die Faszination Bühne. Am 22. Juni liest sie bei der Veranstaltung "LITERATUR ALS ZEIT-SCHRIFT" in der Alten Schmiede in Wien.

DUM: In der Biographie von Christine Teichmann findet sich u.a. die Berufsbezeichnung "Artistin", Dein Roman "Raubtiere" spielt im Zirkusmilieu. Woher kommt die Faszination für dieses Metier?

Als Kind wurde mir immer zuerst gesagt: "Da bist du zu klein dafür". Das wurde übergangslos abgelöst von "Das hättest du schon von klein auf trainieren müssen". Zirkuskunst war daher immer etwas, das ich von ferne bestaunen konnte, ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, selbst Artistik ausüben zu können - bis ich vor vielen Jahren im Programm der Volkshochschule den Kurs "Einrad für Anfänger" entdeckte. Das war die Einstiegsdroge. Ich lernte Jonglieren, Partnerakrobatik, Pantomime, es folgten die ersten Auftritte bei Straßenshows, schließlich eine Zeit als Aushilfsclown und Feuerkünstlerin in einem sehr kleinen, sehr schäbigen Circus und Kontakte zu vielen interessanten Menschen, die von und für den Zirkus leben. Seither gibt es immer wieder Produktionen, die an der Grenze zwischen Artistik, Schauspiel und Clowntheater angesiedelt sind und verschieden großen Raum in meinem Leben einnehmen. Die Zeiten, als ich, auf den Schultern meines Partners balancierend, Feuer gespuckt habe, sind allerdings vorbei, die Liebe zu den Zirkuskünsten nie.

DUM: Clown, Trapezakt oder Raubtiernummer - welches ist Deine Lieblingsattraktion im Zirkus?

Zirkus sollte vor allem das Staunen über die Geschicklichkeit und Phantasie der Artisten sein, das Lachen über eine gelungene Clownnummer, die Artistik und Schauspiel vereint. Und immer der Anreiz fürs Publikum, auch einmal die eigenen Grenzen in Frage zu stellen. Tiernummern mag ich mit wenigen Ausnahmen nicht. Die Raubtiere im Roman sind Symbol für alles, was wir vergeblich versuchen zu zähmen, kein Plädoyer für Tierdressur.

DUM: Du bist in Wien geboren und lebst seit 1998 in Graz. Was hat Graz, was Wien nicht hat?

Abgesehen von der wunderbaren Grazer Slammily und meiner eigenen noch wunderbareren Familie? Eine überschaubare, lebendige Kunstszene, Naturnähe und Feinstaub.

DUM: Du gehörst zur fast schon ausgestorbenen Spezies der politischen Autorin. Siehst Du Dich auch als solche?

Ich sehe es durchaus als Aufgabe, als Literatin meine Stimme denjenigen zur Verfügung zu stellen, denen sie genommen wurde oder denen nicht zugehört wird. Ich versuche, politische und soziale Themen emotional verständlich zu machen, Zeitgeschichte als das schwere Erbe, das es ist, darzustellen, Parallelen zu aktuellem Geschehen aufzuzeigen. Neben der Veröffentlichung von Texten in Literaturzeitschriften und dem Schreiben von Romanen, bietet gerade die Poetry Slam Bühne die Möglichkeit, Menschen, die eigentlich vor allem unterhalten werden wollen, auch andere Themen näher zu bringen. Natürlich nur, wenn die Form originell und der Zeigefinger in der Hosentasche bleibt.

DUM: Christine Teichmann schreibt in Hochsprache und im Dialekt. Was war zuerst da und wo fühlst Du Dich wohler?

Der Wiener Dialekt war meine erste Fremdsprache, die Sprachgrenze begann im Hof des Gemeindebaus, wo ich nicht spielen durfte, um mein schönes Hochdeutsch nicht zu verderben. Die ersten Ambros Lieder musste ich mir übersetzen lassen. Manche meiner ProtagonistInnen und Bühnenfiguren fallen aber ganz von selbst in Dialekt, da sind sie viel glaubhafter. Mein Müllarbeiter oder meine Kampfhundbesitzerin würden nie Hochdeutsch sprechen. Und in Omas Himmel kommt man halt nur g'schnäuzt und kampelt.

DUM: Du bist erfolgreiche Poetry Slammerin und Mitbegründerin der ersten Grazer Lesebühne "Gewalt ist keine Lösung". Was ist das besondere an dieser Lesebühne?

Die Grazer Lesebühne ist die größte Österreichs. Wir haben acht ständige Mitglieder und monatlich einen Gast, der das Thema des Abends vorgibt. Dann schreibt und performt jede/r eigens einen neuen Text. Wir sind stolz, die Qualität der Performances über Jahre halten zu können und ständig Neues zu bieten. Unsere performenden KünstlerInnen umfassen fast drei Generationen, kommen aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Diese Vielfalt spiegelt jeder Lesebühnenabend wider. Geschätzt wird das vor allem von den Fans, denen der Wettbewerb am Poetry Slam zu aufgeregt ist, die aber die knappe Form und die Bühnenperformance schätzen.

DUM: Poetry Slams boomen seit einigen Jahren. Für immer mehr junge Schreibende wird die Slam-Bühne zum Sprungbrett in die große Welt der Literatur - Ann Cotten, Nadja Bucher, Markus Köhle, Mieze Medusa oder unlängst auch Elias Hirschl. Wie siehst Du das - spekulieren da manche Verlage mit der Bühnenpräsenz von jüngeren AutorInnen?

Ich wünsche allen Beteiligten, dass das funktioniert. Aber abgesehen davon, dass Poetry Slam natürlich Literatur - also performte Literatur - ist, ist der Weg von der Bühne zur gedruckten Literatur nicht vorgezeichnet. Ein Poetry Slam Text gewinnt über die Bühnen­performance eine zusätzliche Dimension, die sich durch einfaches Lesen nicht erschließt. Und wer aber die Dichte und Performance am Poetry Slam liebt, sollte sich weder lesend noch schreibend zum Roman zwingen, nur weil die "seriöse" Literaturszene das verlangt. Wenn es aber gelingt, ist das natürlich eine großartige Sache, und ich freue mich über jede neue Veröffentlichung in der "Slammily".

DUM: Welchen Stellenwert nimmt Literatur in Deinem Leben ein?

Ich denke über alles, was mich beschäftigt, vor allem schriftlich nach. Das Kreieren von ProtagonistInnen erfordert, Biografien, Entwicklungen und Zusammenhänge großräumig zu erforschen. Das hilft auch beim Verstehen von Sozialem, Politik und Geschichte. Und lesend kann ich auf diese Prozesse von ungezählten anderen AutorInnen zurück greifen. Ich mag aber auch Bücher, die mich einfach intelligent unterhalten. Douglas Adams' und Terry Pratchetts Tod haben mich da sehr getroffen.

DUM: Was bedeutet es für Dich, auf einer Bühne zu stehen?

Mario Tomic, der Grazer Slam Capt'n, hat das Bonmot "im Sternzeichen Rampensau" geprägt. Dem kann ich mich anschließen. Ich stehe einfach gerne da oben. Poetry Slam bietet zusätzlich eine Öffentlichkeit für meine Gedanken zu Themen, die mich gerade beschäftigen, ohne den langen Prozess einer sonstigen Veröffentlichung durchlaufen zu müssen und die ständige Gelegenheit, über die Reaktion des Publikums zu lernen und mich ständig zu verbessern.

DUM: Was sind Deine nächsten literarischen Pläne?

Noch dieses Jahr erscheint mein zweiter Roman "Manoli", eine Auseinandersetzung mit Neonazis vor dem Hintergrund einer zeitgeschichtlichen Begebenheit, der Entstehungsgeschichte des "Moorsoldatenliedes". Weiters möchte ich gerne mit der Grazer Lesebühne auf Reise gehen, "kulturelle Nahversorgung" betreiben. Und den nächsten Roman beginnen.

DUM: Da wünschen wir natürlich alles Gute!

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