UNTER STROM

Wolfgang Kühn interviewt: Robert Prosser
Dieses Interview hätte ursprünglich Erika Wurzenrainer mit Robert Prosser führen sollen. Ort und Termin waren schon vereinbart, allein es kam nicht mehr dazu ...

DUM: Im September 2009 erschien Dein Debüt mit dem Titel "STROM". In kurzen Worten, worum geht es in dem Buch?
Dass ich darauf kaum eine Antwort finden kann, spricht hoffentlich für das Buch. Ich wills aber mal probieren: kurz umrissen handelt der Text von Alpendörfern Großstädten Beziehungsenden Graffitiabenteuern und noch von einigen Dingen mehr, eingebettet in die Suche nach einer individuellen Sprache und Rhythmik.

DUM: Welche Erwartungen hast Du an "STROM"?
Ich hoffe, dass der Text weiter wächst. Mir ist im Laufe der Lektoratsarbeiten aufgefallen, dass das gesamte Konvolut nun ein Eigenleben besitzt, sich von mir gelöst hat. Ich kann es nun als Aussenstehender betrachten - eine interessante Entwicklung, und irgendwie auch ein bisschen erschreckend, dass da plötzlich aus all den Notizen und unterschiedlichen Fragmenten und dem damit verbundenen Chaos etwas eigenständig Lebendes entsteht. So gesehen betrachte ich STROM als Beginn einer Reise, als Aufbruchsstimme, erstes Sprachaustesten und ich erwarte mir, dass die Bewegung derart ausufernd weiterführt.

DUM: Dein Debüt erscheint im Klever Verlag, ein junger österreichischer Verlag, der erst im Herbst 2008 sein erstes Verlagsprogramm präsentiert hat. Wie geht es Dir mit dem Verlag?
Bestens! Ich fühl mich sehr wohl und gut aufgehoben - manche Verlage haben, was die Autorenbetreuung betrifft, ja nicht gerade einen guten Ruf, so gesehen hab ich wirklich einen Glückstreffer gelandet, noch dazu fürs Debüt. Zudem gibt es im Verlag eine offene Gesprächsbasis, Textänderungen oder -kürzungen werden nie ohne meine Zustimmung vorgenommen, wie überhaupt eine sehr freundschaftliche Atmosphäre die Zusammenarbeit bestimmt. Alles in allem: ein toller Verlag.

DUM: Deine Literatur ist eine sehr dichte, da gibt es keine einfachen, keine belanglosen Sätze, da ist höchste Konzentration erforderlich, um nicht den Faden zu verlieren. Hast du nicht Angst, damit einen Teil der Leser und Leserinnen zu überfordern?
(Lacht) Das spielt keine Rolle. In meiner Auffassung vom Schreiben hat die Person des Lesers keinen Platz, es würde mir nie in den Sinn kommen, jemandem eine angenehme Lektüre bescheren zu wollen - Literatur ist zu wertvoll, als dass sie nur Unterhaltung sein dürfte, wie auch der Drang, eine eigene Sprache zu finden, keinen Raum lässt für mehr als Text und Autor. Letztlich bin ich nur dem Text verpflichtet, und dem eigenen Antrieb, für mich persönlich mithilfe der Sprache möglichst weit vor- und einzudringen. Über etwas anderes, bspw wie meine Literatur aufgenommen wird, mache ich mir nie Gedanken, sonst würde ich mich als Dienstleister empfinden und dem eigenen Schaffen kämen dann vermutlich Leidenschaft, Lust und Neugier abhanden, noch dazu, wo das Schreiben für mich ein sehr körperlicher Akt ist, nackt und ehrlich.

DUM: Deine Literatur ist auch von großer Musikalität geprägt. Wenn man Deine Texte liest, liest man sie innerlich auch laut und da werden sie zu Musik. Woher kommt dieses Nahverhältnis zu Musik?
Vermutlich aus der in der vorigen Antwort skizzierten Einstellung. Der Weg zur individuellen Sprache geht mit Musikalität einher, denn wenn ich mich nicht um die Rezeption des Textes kümmere, sondern nur in der Sprache bleibe, dann kann es zu vibrieren und zu summen beginnen, bis es richtig zittert und pulst - wie die nervöse, leicht fiebrige Aktion des Schreibens an sich, wenn man weiß, man ist an was dran, irgendetwas, ein bestimmter Moment in der Vergangenheit oder ein besonderes Gefühl, lässt sich bald einfangen und verschriftlicht erbeuten. Wenn ich mich drauf einlasse, ein Äquivalent zur Bewegung zu finden, egal ob Stadthektik oder Gebirgsbach, ergibt sich als kleinster gemeinsamer Nenner eine eigene Rhythmik, die sich aufspüren lässt: der innere Antrieb als Musik geschrieben. Wobei STROM diesen Rhythmus in voller Lautstärke rausschreit, ich hoffe aber, mittlerweile gelernt zu haben, willentlich melodiös damit zu spielen.

DUM: Du kommst aus Alpbach in Tirol und bist über Innsbruck in Wien gelandet. Wie ist das, wenn Du wieder mal in der Heimat bist?
Recht interessant. Früher wollte ich immer weg aus Alpbach, das Dorf war mein Gegner, an dem ich mich aufreiben konnte. Mittlerweile komme ich gern zurück, das Gebiet ist mir zum Rückzugsareal geworden und erscheint mir als blanke, naturgesättigte Gegenwart - eine Art Pheromonpinata, vollgepumpt mit Lockstoffen und mit jedem Besuch liegts an mir, da etwas rauszukriegen, ans Schreibmaterial von Fels Bach und Wald ranzukommen.

DUM: Robert Prosser ist von einem steten Reisedrang erfüllt. Was bedeutet Reisen, Ortsveränderung im Allgemeinen für Dich?
Als Energienbündelung aller Lebenslust und Abenteuersuche: Inspiration.

DUM: Was ist Dein bevorzugter Ort zum Schreiben?
Orte sind unerheblich, können nur hinderlich werden, wenn ich schon zu lange an einem Platz bin und mich dieser deshalb zu nerven beginnt, dann wirkt aber die Fluchtbewegung an irgendeinen anderen Ort inspirierend. Sehr wichtig für mich ist aber die Aktion des Schreibens, bzw. die allererste Phase, das Schreiben mit der Hand in ein Notizbuch. Dieses Umblättern Durchstreichen usf., also das Heranwachsen eines Textes, ist für mich etwas unglaublich lebendiges, da kann ich mich austoben, der Rest des Prozesses, das Ausbessern Abtippen, ist wie der Ort: notwendig, aber nicht erstrangig.

DUM: Was liest Du gerade bzw. gibt es Autoren, Autorinnen, von denen Du Dich beeinflusst fühlst?
Beeinflusst fühle ich mich von niemandem und ich hoffe, mich darin nicht zu täuschen. Beeinflusst, wortwörtlich, bin ich sicher von Gebirgsbächen, diese rauschende Stimmenvielfalt ist faszinierend - so müsste man schreiben können! Immer wieder lese ich Ulrike Draesner, Oswald Egger bis hin zu Thomas Kling - durchwegs Lyrik. Und vor kurzem bin ich auf Reinhard Jirgl gestoßen, der mich sehr beeindruckt.

DUM: Was sind Deine nächsten Projekte?
Da gibts einiges. Die Arbeit am zweiten Buch nimmt mich sehr in Anspruch, der Stil hat sich verfeinert, hoffentlich eine Weiterentwicklung. Und ich arbeite mit einem Produzenten und MC daran, mit Texten von mir eine Art Experimental-HipHop zu kreieren. Weiters stehe ich sehr gern auf Bühnen, da möchte ich mich in der Performance weiterentwickeln. So gesehen gibts viel zu tun! Und solange ich unterwegs sein kann und mir das Notizbuch bleibt, ergibt sich immer etwas.



UNTER STROM
(Romanauszug)

      wie absurd es ist, auf dem Friedhof zu stehen und daneben ragt der Kirchturm auf mit goldgrünem Ziffernblatt und die Zeiger drehen sich und es bewegen sich fort die Klopflaute pochen an Wolken Klopfzeichen und die Zeit dreht ihr aberwitziges Rad, drescht das mit Heu ausgestopfte Dorf, aber keine Spuren bleiben davon auf den Gräbern übrig, nichts wühlt sich hinab, nur Glockenschläge drängen in die Kirche. Daneben ragt der Turm, ein Affront den Toten gegenüber und wie anfällig der Ort nicht auf Jahreszeiten reagiert, denn innerhalb des Winters ist der Kirchturm ein Rabe im schneeweißen Fels- nein Irrenzimmer, ist eine fehlplatzierte Lawine, vom grünen Schindeldach gefallen und schmiedeeisern scheinen Gold wie Zeit grausam zu sein, wie sie über gefrorene Erde, über Eisklumpen liegen, doch im Sommer fegt grasgrüne Vibration den Turm aus dem Blickwinkel. Was zählt ist nur der warme Tag und Sensen schleifen die Wahrnehmung zurecht, werfen Holzspäne Grasschnipsel in den Talkessel und an dessen Grund harren Geschichten, welche weiter und weiter erzählt werden, als Wirbel Jahreszeit wie Stuben durchkreisen, wenn beispielsweise von jenem lang verstorbenen Priester die Rede ist, der mit einigen Frauen ein Verhältnis hatte und etwa eine Magd im Heustadel vögelte - was ist das nicht für ein schönes Bild: Hochsommer und den grüngoldenen Katholizismus betten sich Amseln ins Nest, sein Amtskleid legt der Pfarrer auf Holzbrettern ab oder hängt es über einen Rechen und hüpft zur Frau ins Heu, fern den Pflichten fängt sich der Sommer die zwei Körper, Licht fällt durch Holzwandspalten in den Heuboden und legt ein Gitter über Grasgeruch und Stöhnen, um die Zwei festzuhalten in der Momentaufnahme des Sommers und durch Ritzen im Boden fällt ruckartig Staub auf die Tiere darunter.

     Noch ein Kind, steh ich im Stall und über mir dröhnt der schwere Schritt des Bauern, anhand des rieselnden Staubs lässt sich sein knarrender Weg verfolgen, in den Raum legt sich eine staubige Spur, durchzieht als Lichtschneise Stall und dunkelwarmen Dampf, aus Stroh und Scheiße entstanden und unantastbar reiht sich das Spalier zwischen den Stallungen des Viehs auf, von der Decke fällt es durch Spalten zwischen schwarzen Holzbalken zu Boden, darüber stampft der Bauer ein Donnergrollen und ähnlich und nicht zu greifen sind alle Gerüchte, welche im Dorf kursieren und parasitär den Glauben befallen wisst's noch damals als kurz nach dem Krieg und vor einem Sommergewitter zwei Gemeindearbeiter unter einem Wegkreuz ruhten. Während sie etwas aßen sah derjenige, welcher zur rechten Hand des Gekreuzigten saß, hoch und blickte auf die geschlossenen Augen der Jesusfigur, er lachte auf, reichte sein Jausenbrot nach oben und sprach, hinauf zu geschlossenen Lidern und darüber ein metallener Dornenkranz dass Jesus doch nur zugreifen brauche, er sei doch sicher hungrig nach so langer Zeit am Kreuz und der Gemeindearbeiter lachte darüber, dass sein Heiland aufgrund der Nägel nicht runter greifen könne, sonder fest hänge im Leiden im Dorfzentrum und ein paar Monate später gebar die Frau des Gemeindearbeiters ein Mädchen, welchem der rechte Unterarm fehlte anstelle eines Armes einen Dornenkranz zur Prothese geflochten und alles vermischt sich zum Dorftheater und Kinder tuscheln über die Plastikhand einer alten Frau, welche soeben vorbeigeht.

      Ich dagegen sehe zu diesem Zeitpunkt das Kreuz in ihrem Rücken und daran einen Heiland, welcher nichts vergisst, sich die Schmähungen unter der Glasur verwahrt, unter der dünnen Farbschicht liegt die Angst der alten Dorfbewohner versteckt und wartet auf den passenden Moment, zum richtigen Zeitpunkt sehe ich das Bündel Augustgras den Haufen ungeformter Kindheit schillern im Kindertuscheln verliere ich die Umrisse der alten Frau und alles was bleibt ist die Prothese, ist dieser Unterarm und Fingerweis aus Plastik ein hautfarbener Hinweis: ich blick durch die Frau hindurch raus aus dem Tal, dort gibt es einen Punkt, wo die Berge ihre Konturen verlieren, abrunden abfallen in gleitende Geschwindigkeit einer Autobahn, in diesem schmalen Spalt eines Talausganges lässt sich ein Schlangennest wie Gleischaos vermuten und aus Stuben und Lifthäusern an den Schipisten mit ihrer schnapsbeseelten Wärme und Prahlereien ist ein Schlucken vernehmbar, fleißig wie routiniert beginnen Mähmaschinen ihr Werk, unaufhaltsam hungriges Traktorenrütteln auf steilen Hängen unbedacht im Motorenkolbenstoßen auf der Sensenspitze balanciert, das warme zungenrote Dorf behält mich kurz auf dieser seiner Zungenspitze, ich räkel mich einmal noch im feuchten Speichel, welcher nach Schnaps und Lüsternheit riecht und die Felsen mahlen aneinander aneinander gebunden wie an die Prothese und diese als Zepter mitgenommen, als Emblem eingepackt und als Verweis zurück, denn innerhalb des Tales wird alles wahr, was in seinen Stuben und Lifthäuschen ausgesprochen wurde, was ausgehandelt wurde mit Sommerregen und Speichel wird mir aus der Jahreszeittechnologie eine Flügelprothese verpasst und täusch ich mich oder würgt das Dorf ausgespuckt erwache ich in einem Zimmer in Berlin unter drei schmalen Dachfenstern und von den Scheiben hallt der Spucklaut wider, das Dorfecho kursiert im Zimmer als Erinnerungsstütze, aus dem unruhigen Schlaf in Absteigen bleibt mir noch dieser Spuklaut übrig, der mir im Mund geistert, in fahlem Geschmack und Herzrasen, denn so schmeckt mir die Stadt, das geile Gruselkabinett, in dessen Masken Schlünden Attrappen sich Herkunft und Lebensgier brechen und in Abbruchhäusern gegenseitig erschrecken. Dort fühle ich mich verlassen in der Sogkraft urbaner Beschwörung fühle ich mich ausgesprochen, da

      Absinthflammen versuchen, aus der Stirn annähernd ein drittes Auge rauszulecken, während man im alkoholischen Grün des Gestrüpps liegt und von oben zuckersüße Hitze tropft, eine gefährliche Süße fällt von der Mittagshitze in den Menschen, der da liegt in den versteckten Zellen der Weltmasse / im Geistkonvolut des Raumes wird das Bewusstsein ausgerollt um Geheimlogen Blocksberge zu entdecken und irgendwo in den versteckten Zellen der Weltmasse / im Geistkonvolut des Raumes wird durch Rezitation die Brücke in die hintersten versteckten Winkel geschlagen, dringe vor in Brachländer und aufgelassene Industrieviertel, welche in den Leerstellen der geteerten Ordnung existieren, hochprozentig gefiedert präsent in den Lücken des Stadtnetzes und dort wartet das Unterbewusstsein auf Gesellschaft und Abenteuer an einem abgelegenen Ort in den versteckten Zellen der Weltmasse / im Geistkonvolut des Raumes

      an Wänden gelehnt greift die Vibration dahinter auf mich über, auf meinem Rücken beginnt ein rattenkurz struppiges Rattenfell zu wachsen Zeichen des Kurzschlusses in jenem Augenblick, wenn das dunkle Abseits der Notausgänge sich mit Kaleidoskopzentren vereinigt, sie sich gegenseitig umgarnen und fangen im Laserstrahl sich jagen im Lichtzucken einen Stroboskopenpulsschlag ans verschwitzte nackte Dasein geholt und schamlos im Mittelpunkt Solar Plexus der Stadt Sonnen eingeflochten die Drum 'n Bass-Parties werden Lasernetzwerke zu Spinnfäden für die eine Beute, den Körper aus unzähligen Schweißtropfen in diesem Augenblick wenn er von der Decke kondensiert und in einem Lichtstrahl verglüht die Finger nach oben strecken, dorthin, von wo das Licht zu kommen scheint und dann stoppt die Vorstellung als Auftakt unsrer Flucht in schwarzkantiges Boxengehäuse, wir zeigen von dort aus dem Tag die Zähne und wissen nichts davon Spukvokabular übrig geblieben von letzter Nacht flackert es bleich über Industriezonen und Brachland, wuchert sich aus zum Dornenwerk neben S-Bahngleisen, diese rostbraune Verfallenheit inmitten der Stadt.


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