Emil Kaschka brennt für viele Dinge und versteht es, Begeisterung zu entfachen. Ein Einblick in sein aktuelles Schaffen.
Emil, du kommst gerade als Poetry-Slam-Vize-Weltmeister aus Togo zurück. Gratulation!
Danke!
Eine Menge Fragen drängen sich auf: Wie kamst du dort hin?
Über einen langen Weg. Zuerst musste ich im September 2023 österreichischer Meister werden. Dadurch durfte ich zur Europameisterschaft. Weil sich von allen Kontinenten die 10 besten für die WM qualifizieren, hat mein 4ter Platz bei der EM in Antwerpen für die WM in Togo gereicht.
Wie hast du das Publikum in Togo für dich gewonnen?
Ich glaube, was dem Publikum sehr gefallen hat, war mein Ganzkörper-Einsatz. Ich habe auf der Bühne nicht "nur" einen Text vorgetragen, sondern bin in verschiedene Rollen geschlüpft - im Halbfinale war ich Cristiano Ronaldo, im Finale ein Fitness-Influencer. Diese Performance hat über die Sprachbarriere hinweg geholfen.
Wie war die Stimmung dort?
Wie ein Mentos in einer Colaflasche. Als die Poetin aus Togo auf die Bühne kam, sind nur noch wenige gesessen, und aus irgendeinem Grund, haben alle angefangen zu bellen. Auch bei meinem Finaltext haben Leute im Publikum begonnen, das Workout mitzumachen. Generell wurde auf Texte auch während des Vortrags lautstark reagiert. Das Finale wurde sogar im nationalen Staatsfernsehen übertragen. Als es am nächsten Tag hieß, dass 4 Millionen Zuseher eingeschaltet hätten, habe ich das nicht geglaubt. Seit wir dann aber im Taxi und Flughafen erkannt wurden, bin ich mir nicht mehr so sicher.
Wie funktioniert PS auf der internationalen Bühne?
Der einzige große Unterschied sind die Übersetzungen. Während jeder Poet und Poetin in ihrer Muttersprache performed, laufen auf einer großen Leinwand im Hintergrund die Übersetzungen in drei verschiedene Sprachen (englisch, französisch, spanisch). Ein Unterschied zum deutschsprachigen Slam ist das Zeitlimit. Während wir mindestens 5 Minuten haben, gibt es international maximal 3.
Wie war der Kontakt mit den Kolleg*innen aus aller Welt?
Das eigentliche Highlight der Weltmeisterschaft! Ich habe noch nie in so wenigen Tagen so viele Handynummern ausgetauscht und neue Handschläge gelernt. Auch sehr spannend: In den Texten der jeweiligen Länder haben sich die aktuellen Probleme eines Landes gespiegelt. Es war wie ein Seismograph der globalen Lage. Am amüsantesten war zu beobachten, wie jeder mit Verspätungen umgegangen ist. Alles war verspätet - ob es das Frühstück war, der Bus zum Freizeit-Ausflug (um 2 Stunden) oder der Start des Halbfinales (um 1e Stunde). Während die Europäer kaum noch Luft bekommen haben vor lauter Entrüstung, sind die Latinos erst nach einer Stunde nervös geworden, während die afrikanischen Poeten und Poetinnen Trommeln dabei hatten und pausenlos gesungen und getanzt haben. Es war so schön, dass es mich die ersten Tage danach traurig gemacht hat, wenn die U-Bahn in Wien wieder punktgenau eingefahren kam.
Hast du Lust auf mehr Internationale Beziehungen bekommen?
Die Lust hatte ich schon immer! Aber jedem ist bewusst, dass ein so internationales Event oft ein einmaliges Erlebnis ist. Viele Poet*innen haben ein ganzes Jahr lang darauf gespart, gecrowdfunded und Spenden-Veranstaltungen gegeben. Der Poet aus Madagaskar zum Beispiel hat zum ersten Mal in seinem Leben sein Land verlassen.
Hattest du Zeit, das Land zu sehen?
Die Zeit schon, die Organisation nicht wirklich. Öffentlicher Verkehr ist dort sehr schwer zu überblicken, sofern es ihn überhaupt gibt. Aber wie eine Poetin gesagt hat: Togo lernt man durch die Menschen kennen.
Was nimmst du dir persönlich für zukünftige Auftritte aus dieser Erfahrung mit?
Dankbarkeit für das Privileg, über eine große Auswahl an Themen schreiben und slammen zu können. Bei vielen anderen Ländern hatte ich das Gefühl, dass sie aus einer sehr großen Not gezwungen sind, über bestimmte Themen und Ungleichheiten zu schreiben.
Was hast du alles erlebt, was war am skurrilsten, was am eindrücklichsten, was am schlimmsten für dich?
Am skurrilsten: Als im ersten Halbfinale die Übersetzung nicht funktioniert hat und man beschlossen hat, trotzdem weiterzumachen, obwohl die Jury nur Englisch und Französisch konnte und Texte in Deutsch, Dänisch und Spanisch vorgetragen wurden. "If you dont understand the poem, feel the poem" wurde da zum Programm. Ich weiß bis heute nicht, wie ich in diesem Halbfinale 2ter geworden bin. Am eindrücklichsten: Wie die Begeisterung für Poesie alles überwindet, Sprachen, Nationen, Kulturen, egal wie unterschiedlich, ich habe mich unglaublich schnell mit anderen angefreundet. Am schlimmsten: Die tropische Hitze. Ich konnte die Schritte an einer Hand zählen, die es gedauert hat, bis ich, nachdem ich mein klimatisiertes Zimmer verlassen habe, wieder fetznass war vom Schweiß.
Durch die WM hat sich PS wieder sehr in dein Leben gedrängt, aber du machst ja so viel mehr. Was sind deine aktuellen Projekte in Sachen Theater, Film und Literatur?
Bis Mitte des Jahres habe ich an meinem dritten Theatertext GROßE TAGE geschrieben, den ich durch das österreichische Dramatikerinnenstipendium gefördert bekommen habe. Allerdings ist es ein großes Herzensprojekt mit 15 Sprechrollen, bei dem auch außerhalb des Textes alles zusammenpassen muss (Produktionsbedingungen, Regieperson, Finanzierung, etc.), bis ich es aus der Hand gebe. Das letzte halbe Jahr habe ich mein Langfilm-Drehbuch FEUER geschrieben. Dazwischen war ich ein Monat in Südkorea und habe unzählige Seiten Reisenotizen mitgebracht, die sich ganz langsam zu einem Romankonzept formen.
Was ist mit den ersten zwei Theatertexten passiert?
Das erste Stück SEIT JAKOB war ein Auftragstext für eine Berliner Bühne. Mittlerweile hat es auch einen Verlag - deutschen Theaterverlag - und wird gerade in Essen und Solothurn (Schweiz) zum fünften und sechsten Mal gespielt. Das zweite Stück SCHMELZWASSER habe ich in Eigenproduktion in einem kleinen Theater in Wien gemacht.
Wie sehr unterscheidet sich das Schreiben fürs Theater und das Drehbuchschreiben?
Für mich unterscheidet es sich vor allem darin, dass das Drehbuch für mich in Bildern funktioniert und der Theatertext über die Sprache. Beim Drehbuch stelle ich mir beim Schreiben immer genau vor, welcher Bildausschnitt zu sehen sein soll, Sprache ist sehr wichtig, aber zugleich auch ein Nebengeräusch. Beim Theatertext entsteht alles aus der Sprache. Ich schreibe nicht wie Figuren angezogen sind oder wie Räume aussehen. Alles erzählt sich darüber, was die Stimmen sagen, und wie sie es sagen.
Kurzfilme hast du schon realisiert?
Ja. Viele "Übungsfilme" und letzten Sommer meinen ersten ernstzunehmenden Kurzfilm INS WILDE LAND, der erfreulicherweise gleich auf der Diagonale eingeladen war.
Großartig! Und um was geht es in FEUER?
Es ist inspiriert von der - leider - wahren Geschichte meines Bruders. Wenige Tage, bevor seine Probezeit vorbei ist und er der jüngste Polizist Tirols wird, sagt einer seiner besten Freunde bei der Polizei aus, dass er ihn gesehen hat, wie er einen Waldbrand gelegt hat. Es ist ein Milieu-Film in der Tiroler "Vereinskultur" - Feuerwehr, Polizei - und erzählt auf einer Ebene darunter, wie jeder von uns unverschuldet in einen Malstrom geraten kann, der dann ein vor einer Minute noch so gesichertes Leben zerstören kann.
Das wäre jetzt natürlich ein eigenes Gespräch wert, das wir gerne führen können, wenn der Film zu sehen ist. Aber um all deine aktuellen Tätigkeiten und Projekte und auch dieses Interview zum Abschluss zu bringen: Was ist das Faszinierende an Südkorea?
Dass es ein Blick in die Zukunft des Westens ist. Dort benutzen sie die Handys, die wir in 10 Jahren benutzen werden. Sie tragen Kleidung, die wir in 10 Jahren kaufen werden. Sie machen Musik, die unsere Gen Z süchtig macht. Sie schreiben Filme und Serien wie "Parasite" und "Squid Game", die unsere Art des Erzählens verstaubt aussehen lässt. Sie haben Probleme, die wir in ein paar Jahren haben werden (Handysucht, hohe Suizidrate, niedrige Geburtenrate).
Lieber Emil, ich wünsche dir alles Gute für all deine Vorhaben und freue mich, dich oder eine deiner Produktionen demnächst auf einer Bühne oder Leinwand zu sehen.
< zurück