WELCHE FARBE HAT BERLIN?

AUTOR: DAVID WAGNER
REZENSION: Kathrin Kuna
David Wagner wandert durch Berlin und erzählt uns von seinen Beobachtungen. Er beschreibt die Bewohner und auch die Besucher der Stadt, vor allem aber die Stadt selbst. Ihre Straßen, ihre Häuser und ihre Ecken. Es klingt ein bisschen melancholisch an manchen Stellen, nie aber nostalgisch. Von Ostalgie auch keine Spur, ironisch wird sogar die Westalgie entworfen und ins Licht gerückt, wenn es um den Schillerplatz, den Grunewald und das Europazentrum geht. Soziologische, architektonische und historische Fakten, treffen auf literarische und Filmzitate, umrahmt von der sensiblen Wahrnehmung eines Stadtwanderers mit journalistischem Scharfblick und ausreichenden Träumer-Qualitäten. Weder wird die alte Ordnung der geteilten Stadt beklagt noch zurückgewünscht, historisch ist historisch. Auch in Berlin. Wenngleich in Berlin damit anders umgegangen wird als anderenorts. Es wird nicht archiviert und eingerahmt. Manche Veränderungen passieren schneller, manche weniger schnell, aber auf jeden Fall passieren in Berlin scheinbar permanent Veränderungen. Und wo sie nicht passieren, wird trotzdem darüber gesprochen.

In dieser rasenden, schnellen Stadt, halten wir mit dem Autor inne an Stationen. Manche stellt er uns neu vor, einige kennt man selbst auch und hat sie vielleicht ähnlich in Erinnerung. Zwischen diesem zustimmenden Nicken und beipflichtenden Grinsen, wird man aber auch Stellen finden, an denen man erstaunt die Augenbrauen hebt. So sind beispielsweise die Planschbecken-Besitzer auf der Hasenheide neu für mich gewesen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich selten den Sommer in Berlin verbringe. (Auch so eine Berliner Reaktion, dass man sich nicht der Größe der Stadt unterwirft, sondern meint, dass die Größe der Welt für einen Moment von den Geschehnissen im Kiez abgelenkt hat.) Auch ohne Geld kann man in Berlin gut leben und Spaß haben. So die Legende, die tausende junge Menschen aus ganz Europa und neuerdings auch vermehrt aus den USA in die Stadt bringt. Zumindest Mal für ein halbes Jahr dort als Künstler gelebt haben, scheint die Devise zu lauten. Wie das Leben ohne Geld für die Berliner dabei aussieht, wird oft ausgeblendet.

Was sind Pflasterstreifen?

David Wagner erzählt unterhaltsam und ehrlich von der Weserstraße, Kreuzberg, den Problemen und den Besonderheiten, den guten und den schlechten Dingen, der Entwicklung einer Stadt und der Menschen, die in ihr leben, mit Bestimmtheit und eigener Meinung, dabei auch mit sehr viel Respekt, Toleranz und Aufmerksamkeit fürs Detail. Vergleiche betten Berlin in diesem Stadtporträt in einen größeren, globalen Kontext bzw. zeigen wie Berlin auf jemanden wirken kann, der bereits auch andere Teile dieser Erde nicht nur bereist und gesehen, sondern mit großer Aufmerksamkeit und Feingefühl wahrgenommen hat. So heißt es an einer Stelle: "Mein Palenque liegt in Moabit." An anderer Stelle wird ein ganzes Kapitel Stadtmöbeln wie City Toiletten oder Pflasterstreifen gewidmet. Was sind Pflasterstreifen? Hier kommt die Antwort und ein kleiner Einblick in diese farbenfrohen Berlintour:

"Als ich die Bernauer Straße auf ihrem neuen, glatten Asphalt hinunterfahre, fällt mir auf, dass die Ampeln nun an quer über die Straße gespannten Drahtseilen hängen. So, wie man es aus Amerika kennt. Im Wind schaukeln sie sanft hin und her; weht der Wind stärker, schaukeln sie weniger sanft. Nachdem ich das Auto geparkt habe, warte ich an der Fußgängerampel auf dem weißen Blindenpflasterstreifen auf Grün. Wie an fast jeder Berliner Ampel soll die Riffeloberfläche des Spezialpflasterstein mich durch meine Schuhsohlen spüren lassen, dass sich hier ein Fußgängerüberweg befindet. Leider jedoch ist dieser Spezialpflasterstein hier, wie fast überall, schon zerbröselt. Ich spüre die Riffelung nicht. Ich spüre nur, dass das Pflaster kaputt ist."

DAVID WAGNER. WELCHE FARBE HAT BERLIN? Verbrecher Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-940426-96-3