GENERATION LEISTUNGSDRUCK

Autor*in: THERESIA TÖGLHOFER
REZENSION: Markus Köhle
Hanna Fürst ist eine vorerst Auserwählte. Sie tritt ein begehrtes Praktikum in der Zentrale in Brüssel an, wird dort vier Monate unentgeltlich arbeiten und sich den Arsch aufreißen. Sie macht das für ihre Zukunft und ihren Lebenslauf. Mit der Vergangenheit hat sie abgeschlossen. Die Wurzeln nach Graz Umgebung sind gekappt. Was noch über ist vom Leben davor, trifft unregelmäßig als Überweisung der Mutter, die nicht mehr Mutter sondern Marla genannt werden will, ein. Die verkauft nämlich Hannas Besitz, der nicht in den Rollkoffer passte.

Hanna Fürst ist ein High Potential, ein Young Professional, sie will unter den wirklich Auserwählten 15 sein, die dann auch in dein Dienstverhältnis aufgenommen werden. Um das zu erreichen, muss sie natürlich auffallen, aus der Masse der YP herausstechen, vor allem, weil sie der Abteilung EUROPER zugeteilt wurde. Da geht es um die Länder der europäischen Peripherie, zwar Europa aber doch nicht ganz. Der Krieg noch in den Köpfen, die Grenzen umkämpft. Es braucht ein Leuchtturmprojekt, eine Planungsstrategie, einen Aktionsplan.

Es braucht diesen Jargon. Ja, die Sprache dieser Kreise, die immer mindestens Innovationskreise sind, ist ein großes Thema dieses Romans. Der Europa-Apparat ein anderes. Es ist aber auch ein Roman über die Generation Alle-Wege-stehen-uns-offen-aber-alle-Türen-vorerst-noch-zu. Das Leuchtturmprojekt an dem die Arbeitsgruppe (unter Beteiligung der lokalen NGO "Our Future") schließlich tüftelt, ist ein wirklicher Leuchtturm auf einer Insel des Flusses, der die Grenze der zwei einst vereinten Länder darstellt: die Freundschaftsinsel. Niemand reklamiert die für sich, der perfekte Ort für ein europäisches Annäherungsprojekt also. Perfekt so lange, bis dieses Projekt nicht geplant war. Plötzlich haben nämlich alle eigene Interessen: der Europaminister des einen Landes, die Abteilungsleiterin Krisen & Konflikte, die Our-Future-West-Repräsentantin. Das kann nicht gut gehen. Das kann aber sehr wohl gut gehen als Roman.

Europäische Höhen und Tiefen

"Tatendrang" ist spannend und interessant, bietet Einblicke, die man so noch selten gelesen hat: Europäische Höhen und Tiefen. Mal triumphale Gefühle in der Glaskuppel im Europaturm, mal WG-Depression. Beides liegt sehr nahe zusammen für die auf Übernahme Hoffenden.

"Tatendrang" ist ein EU-Roman im doppelten Wortsinn. Einerseits konkret die EU behandelnd, andererseits ernsthafte Themen (E) unterhaltsam (U) aufbereitend. Das ist ganz schön viel und wird auch bis zum Finale furioso spannungstechnisch durchgehalten. Wir folgen dieser Gruppe junger Zukunftshoffnungen gerne, schauen ihnen beim Papers-entwickeln und Aus-Pappbechern-trinken, beim Straucheln, Scheitern, Wiederaufstehen, Wachsen zu, gewinnen sie lieb und lernen dabei allerhand und zwar sowohl über die Zentrale, als auch über das sogenannte periphere Europa. Bildung, Haltung und Unterhaltung - alles, was wir uns von guter Literatur wünschen, "Tatendrang" liefert's.

THERESIA TÖGLHOFER. TATENDRANG. Residenz. 2024. ISBN 9783701717897