6 ÖSTERREICHER UNTER DEN ERSTEN 5

AUTOR: DIRK STERMANN
REZENSION: Kathrin Kuna
Ja, zugegeben: Das Buch ist nun nicht mehr taufrisch. Doch es hat eine Weile gedauert, bis es mich hier in Berlin erreicht hat. Mein Ösi-in-Berlin-Dasein steht dem Piefke-in-Wien-Dasein diametral gegenüber. So muss ich vorweg sagen, dass ich Dirk Stermann nicht nur als Hälfte von Stermann und Grissemann noch aus Wiener Zeiten einerseits und v.a. weil ich ebenfalls Ausländerin in der eignen Sprache bin, grundsätzlich schon vor der Lektüre des Buches sympathisch gesinnt war. Unendlich dankbar war ich allerdings für seinen Außenblick auf das österreichische Volk und die Wiener im Speziellen. Nach ein paar Jahren in Deutschland leben und arbeiten, nicht nur in Berlin sich selbst finden und vom Club der Visionäre ins Watergate hoppen, ist es herzerfrischend die Tücken der eigenen Heimat so klar und zugleich liebevoll zynisch vor Augen geführt zu bekommen. Allen Unkenrufen aus dem engen Bekanntenkreise "zuhause" entgegen und trotz einer Empfehlung eines mir sehr lieben, aber halt eben auch sehr deutschen Arbeitskollegen, habe ich mir das Buch besorgt, es gelesen... und sehr genossen!

Sollten Ihnen diese, meine einleitenden Worte schon zu mühselig und persönlich sein, dann kaufen sie das Buch besser nicht. Denn - obgleich ich nicht so unterhaltsam sein kann wie Stermann - ist meine Perspektive ebenso wie seine zutiefst persönlich, offen, zuweilen ambivalent, aber grundsätzlich sehr harmoniebedürftig. (Das müssen die Jahre in Deutschland wohl aus mir gemacht haben. Das Zänkische, Morbide und Grantige weicht.)
Es wird wohl auch kein Zufall sein, dass mir das Buch kurz vor der Fußballeuropameisterschaft von meinem Stapel Rezensionsexemplare in die Hände fiel. Gerade an der Kippe zum Abschluss meiner Immigration in Deutschland - d.h. nicht, dass ich mit gelben, schwarzen und roten Streifen im Gesicht und um den Hals bereits Fan-Chor-Zeilen einstudiert hatte oder die Wollzusammensetzung von Jogi Löws neuestem Pullover kannte - begann ich Stermanns Geschichte zu folgen, die v.a. auch durch den Fußball geprägt ist. Ja, auch durch den österreichischen Fußball.

Inititationsriten für Piefkes

Man bekommt einen Eindruck von Wien in den 80er und 90er Jahren. Damals waren noch nicht so viele Deutsche an der Wiener Universität - eine schwer vorstellbares Szenario. Wohngemeinschaften, Liebesbeziehungen und Sauffreundschaften haben aber schon damals funktioniert wie heute. Vielleicht hatte man auch mehr Zeit zum Studieren, doch damals wie heute, war die Ablenkung des Kulturbetriebs sehr groß. Die Anfänge vom Radiosender FM4 werden nur angedeutet, die Inititationsriten im Wiener Funkhaus, im Speziellen für Piefkes, lernt man natürlich genauer kennen.
Mit sehr viel Liebe und gleichzeitiger, fast wienerischer Bösartigkeit werden Unikate wie die Wie-spät-is-es-Frau beschrieben. Sie lebt im Erdegeschoß des Hauses im 5. Wiener Gemeindebezirk, in dem auch Stermann wohnt, und steht tagein tagaus am Fenster, um Passanten nach der Zeit zu fragen. Ebenso wird der Würstelstand klischeegerecht inszeniert und der Freundschaft mit der Würstelverkäuferin der angemessene Platz eingeräumt. Am herzerwärmendsten allerdings ist die Beschreibung der Männerfreundschaften und das still und heimlich eingewebte Liebesgeständnis an seine Frau.

Es stimmt nicht, dass die Deutschen keinen Humor haben. Halt nur einen sehr anderen als die Österreicher. Das macht es manchmal nicht leicht. Weder für die Österreicher in Deutschland, noch für die Österreicher in Österreich. Ich denke aber, dass wir die Sicht der Deutschen über uns sehr gut gebrauchen können. Es würde dem nationalen Minderwertigkeits- und gleichzeitigem Neidkomplex sehr gut tun, wenn wir anfangen würden über uns selbst zu lachen. Und zwar nicht, wenn wir uns über uns selbst lustig machen, sondern wenn das ein Deutscher tut.

DIRK STERMANN. 6 ÖSTERREICHER UNTER DEN ERSTEN FÜNF. Roman einer Entpiefkenisierung. Ullstein Buchverlage 2012. ISBN 978-3-550-08835-3