DER JUNGE VON NEBENAN

AUTOR: MARTIN BÜSSER
REZENSION: Kathrin Kuna
Manch einer kannte den kürzlich verstorbenen Autor Martin Büsser als Kulturkritiker und Journalisten. Hier erweist er sich als humorvoller Cartoonist und legt mit Der Junge von nebenan sein Prosadebüt in Form eines Bildromans vor. Der Junge hat keinen Namen. Er ist ein Kind der 70er Jahre, wächst in Westdeutschland auf und ist in erster Linie mit seinem sexuellen Erwachen und in zweiter Linie mit seiner sexuellen Orientierung beschäftigt.

Sprunghaft wird der Erzählstrang von Station zu Station gesponnen, nicht immer in der erwarteten Reihenfolge. Bilder - sprachlich und gezeichnet - freier Assoziationen, Erinnerungsschnippsel in leicht nostalgischem Ton fest gehalten, sind das Rückgrat dieses schönen kleinen Büchleins. Voller Selbstironie erzählt der Junge von nebenan, das Alter Ego des Autors, seine Lebensgeschichte. Die Wahrnehmung und Empfindung von damals verschwimmt mit dem heutigen Blick auf die Dinge, manchmal sehr versöhnlich, selten distanziert relativierend, auf jeden Fall aber immer gnadenlos ehrlich. Der Junge wächst heran und tastet sich mutig (und in einer früh beginnenden und beinahe fanatisch verehrenden Liebe zum französischen Romancier, Dramatiker und Poet Jean Genet) an seine männliche Identität heran. Es gibt keinen Vater, der Vorbild sein könnte. Am meisten fällt die Stärke dieses Buches auf, wenn die naiven und manchmal fast niedlich anmutenden Bilder in krassem Gegensatz zu den diese begleitenden, drastischen Schilderungen der Erlebnisse stehen.

"Schwul" ohne "Bravo"?

Man könnte diese 100 Seiten schnell lesen. Es sind wenig Worte, meist nur ein Bild pro Seite. Oft aber denkt man länger über eine Seite nach. Hat man Mitleid mit dem Jungen? Versteht man seine Welt? Kennt man diese Welt? Will man an die Zeit der Pubertät zurückdenken? Kannte man das Wort "schwul", auch wenn man keine Bravo las? Der Tonfall wird nie schwermütig, dennoch fehlt es nicht an Tiefsinnigkeit. Sie versteckt sich eher in zynischen Beobachtungen oder auch lakonisch dargestellten kleinen Dramen dieses jungen Mannes. Das offene Ende ist mit einem gewissen Resttrotz gewürzt, aber nicht mit Frust verbittert. So heißt es:

Jetzt, wo die Geschichte so richtig interessant wird, will ich ausblenden. Schließlich ist das hier ein Handbuch für Jungs, sich selbst auf den Weg zu machen, ihre Wünsche und Träume zu erkunden.

Ich bezweifle, dass es sich um ein Handbuch handelt und kann mir gut vorstellen, dass auch Mädchen, respektive Frauen, die Lektüre amüsant finden.

MARTIN BÜSSER. DER JUNGE VON NEBENAN. VERBRECHER VERLAG. 2009. ISBN 978-3-940426-40-6