GESTANKPROTEST UND KUTTELSUPPE

AUTOR: JAROSLAV RUDIŠ
Rezension von Markus Köhle
Jaroslav Rudiš war der Interviewpartner in DUM # 66 und D.C.A.-Lesebühnengast im Oktober 2013. Damals war gerade seine Graphic Novel "Alois Nebel" aktuell und die Verfilmung lief an, jetzt beglückt uns der produktive, tschechische Autor (nach "Der Himmel über Berlin", "Grandhotel", "Die Stille in Prag") mit seinem vierten Roman in deutscher Sprache. Deutsch wäre in Teenagertagen sein persönlicher Punk gewesen, erläuterte er im Interview. Das passt ganz wunderbar zum aktuellen Titel: "Vom Ende des Punks in Helsinki" (Luchterhand 2014).

Der traurige Held heißt Ole, ist um die 40 und war Punk zu DDR-Zeiten. Jetzt ist er Wirt des "Helsinki". Das ist die einzige Kneipe mit Wohlfühlpatina einer namenlosen ostdeutschen Stadt und selbst dieser Rückzugsort für schräge Charaktere scheint förmlich unterzugehen, zu zerbröckeln wie alte Ideologien und Ideale. Alles begann mit einem "Die Toten Hosen" Konzert 1987, es folgten: Knast, Brauerei, Bandgründung. "Automat" brachte es zu einigem Ruhm aber es ging auch einiges schief. Ole hatte mal Familie, aber Frau und Tochter hatten bald die Schnauze voll von ihm. Dabei schien er es - mit anderen verglichen - doch gar nicht so schlecht erwischt zu haben. Beispielsweise mit Nancy, die ihre Teenagerjahre in einem Dreckskaff in der Tschechoslowakei verlebte, mit den Jungs der Band "Tschernobyl" bumste, soff und feierte aber eigentlich vom wahren Tschernobyl gefickt wurde und von der Schule flog, weil sie wirklich Punk war und Eier hatte. Von ihr lesen wir das herrlich-rotzige "Tagebuch aus dem Tal der Hohlköpfe". Außerdem taucht im Text das "Schmucke Leute Manifest" auf (wer dafür verantwortlich zeichnet, wird hier natürlich nicht verraten).

Stinkefinger statt Zeigefinger

Jedenfalls geht es um Aufsässigkeit in den 80ern und heute, um Musik, um Drogen, um Idole aber auch um Einsamkeit, Ausweglosigkeit und um das Phänomen des Viellaberns-und-Wenigunternehmens. Straßenbahnen spielen selbstredend auch in diesem Rudiš-Roman ihre Rolle, Sehnsucht nach einem Platz im Leben und einer Beziehung ist ebenfalls Thema und wie sympathisch Rudiš das alles verpackt, ist beeindruckend. Da wird Zeitgeschichte lebendig ohne Zeige- vielmehr mit gerecktem Stinkefinger erzählt. Man gewinnt die verschrobenen Figuren trotz all ihrer Schäden lieb, möchte ihnen zwar bisweilen einen Arschtritt positiver Art verpassen, kann sie in ihrem Schicksal aber irgendwie doch auch verstehen und folgt so gebannt den Geschichten auf mehreren Ebenen und 350 Seiten lang mit größtem Vergnügen und wer nach der Lektüre nicht Lust hat auf ein paar Bier, eine alte Punk-Scheibe, Pogo-Tanz und auftoupierte Haare hat, der war wohl nie Punk.

JAROSLAV RUDIŠ. VOM ENDE DES PUNKS IN HELSINKI. Luchterhand. 2014. ISBN 978-3-630-87431-9