ONKEL EMMERICH. GRUBER GESCHICHTEN

Autor*in: Klaus Wieser
REZENSION: Martin Heidl
Der erste Prosaband des in Niederösterreich geborenen Lyrikers Klaus Wieser ist im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen. Das Coverfoto besteht aus 3 Teilen. Himmel, Erde und ein Mauervorbau mit Schatten. Sie können sich aussuchen, welcher Farbabschnitt zu welchem Lesekapitel gehört. Oder sind alle miteinander verwoben?

Den drei Teilen ist gemeinsam, dass Gruber in ihnen vorkommt. Im ersten Abschnitt wird Grubers Aufwachsen auf dem Land in all seiner ländlichen Eigenheit, mit all seinen kleinen und größeren Konflikten und Familienkuriositäten erzählt. Im zweiten Teil des Buches begibt sich Gruber auf Interrailtour und per Autostopp quer durch Europa und Marokko als Schritt nach Afrika. Im dritten Teil geht es nach Indien in ein Bad aus Menschlichkeit, deren Beschreibung besticht und entgeistert.

Die Gruber Geschichten ziehen mich soghaft hinein, ob man nun in der Enge des ländlichen Aufwachsens landet oder im Opel eines jungen deutschen Paares in Spanien, das sich nichts mehr zu sagen hat oder in einem Bus in Indien mit Ausblicken auf verunfallte Rostlauben. Wieser schafft es auf einer knappen Seite die ach so christliche-Nächstenliebe-Erziehung im Nachkriegsösterreich aufzuzeigen, ohne den Finger in die Wunde zu legen - das bleibt der Leserin / dem Leser selbst überlassen. Eigene Bilder der Kindheit tauchen auf und wieder ab; man sitzt mit Gruber bei Onkel Emmerich im Haus und fühlt mit. Sprachlich auf das Wesentliche reduziert; er erzählt und bewertet nicht; er sieht zu und schaut nicht weg; er lässt passieren, er hat keine Angst, oder kaum eine, und wenn, dann geht sie vorbei ...

Sozialisiert mit Winnetoufilmen

"Wie die Zeit im Kindergarten, war auch der Besuch der Volksschule eine Tortur gewesen. Grubers Klassenlehrer, der Direktor der Schule, war ein bösartiger, zynischer, bis auf die Knochen abgemagerter Mensch gewesen" - den Nazi erwähnt er nicht, das wussten die Kinder damals ja nicht. Indianerspielen als Zeitvertreib; wer spielte nicht Indianer? Sozialisiert aus dem aufgekommenen Fernsehen mit den Winnetoufilmen und den vielen Edelwestern wollte jeder ein Held sein; auch die Väter aus der verlorenen Kriegskindergeneration.

Über den Haufen schießen, sagte Onkel Emmerich, wenn es "reichte"; Onkel Emmerich wurde zitiert, wenn das Geschriebene, Gehörte zu mächtig wurde und ohnmächtig machte. Die Tante Melitta in Linz, im Sauberkeitswahnsinn gefangen, bewaffnet mit dem "Wettex", dem alles wisch und weg. Vergessene Wörter tauchen auf: Trangler, Scherm, Rabattel, verkutzt.

Mir tut das Kreuz so weh

Wolfgang Ambros besingt Jesus: Mir tut das Kreuz so weh; Wieser nimmt ihn nach Indien mit. Markus Werner mit Zündel's Abgang: eine Lehrergeschichte mit Paukenschlagende. Gruber ist ebenfalls Lehrer im Brotberuf. Der Musiker Alex Miksch. "Es schifft aus volle Schaffeln", und das in Indien. Alex Miksch bloß ein Insider-Tipp? Gruber kennt sie alle.

Ein Hineingucker mit Leib und Seele. Er lässt es passieren, geschehen, und er ist mitten drin. "Gruber stieg etwas höher hinauf und genoss das herrliche Wetter und die wunderbare Landschaft. Er geriet ins Grübeln. Der Mensch sieht den Berg, der Berg sieht den Menschen. Der Fisch schwimme, der Vogel fliege, sei das nicht genug?" Der Mensch sitzt, geht, läuft ..., ist das nicht mehr als genug?

Ich freue mich auf weitere Gruber Geschichten! Eine Erlebnis-Sofa-Reise mit Tiefgang als Einblick in Welten, wo ich nie war.
"Ein wenig noch tanzen".

ONKEL EMMERICH. GRUBER GESCHICHTEN. KLAUS WIESER. Bibliothek der Provinz. 2023. ISBN 978-3-99126-228-2