WESHALB DIE HERREN SEESTERNE TRAGEN

AUTORIN: ANNA WEIDENHOLZER
Rezension von Martin Heidl
»Karl, ein pensionierter Lehrer, macht sich eines Tages auf, herauszufinden, was das Glück sei. Einen nur leicht veränderten Fragebogen im Gepäck, mithilfe dessen das "Bruttonationalglück" in Bhutan ermittelt wird, lässt sich der Glücksforscher in einem schneelosen Skiort nieder, dessen Bewohner er nun in unbekanntem Auftrag nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen will. Das "Hotel Post", in dem Karl als einziger Gast unterkommt, wird bewirtschaftet von einer namenlosen Frau und ihrer Hündin Annemarie. Von hier aus beginnt er seine Forschungen, unterbrochen von konfliktgeladenen Telefongesprächen mit seiner Frau Margit. Bald erhält seine Reise Züge einer Flucht, und der Fragende wird unmerklich zum Objekt der Befragung anderer.«

Soweit die Beschreibung des Inhaltes des Romans, der uns eine der drängendsten Hoffnungen der Zeit stellt und erörtert - die Suche nach dem Glück!

Während der letzte Roman von Weidenholzer, 2012, noch im Residenzverlag erschienen, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2013, auf dem Cover noch eingetrocknete Rosen auf einer vergilbten Tapetenwand aus den Siebzigern zeigt; erscheint der neue Roman, mittlerweile bei Matthes & Seitz Berlin erschienen, und auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis gelistet, ein Cover mit einer linear strukturierten Pixelwand, als Zeichen der "Moderne" und der Digitalisierung des Alltags.

Ebenda versucht Karl, der pensionierte Lehrer, seinen Sinn des Lebens zu finden, indem er Glücksforschung betreibt; aufgestachelt durch das Vorpreschen der Bhutaner ...

Glück klingt besser als Angst

Und weshalb Bhutan? "Glück klingt besser als Angst, oder: Ich weiß es doch auch nicht mehr." Einer der großen Sätze in dem feinen Roman, der die Leserschaft so wunderbar in den Alltag führt; nicht in die großen Begebenheiten, sondern in die kleinen Alltäglichkeiten, in das Schicksal einer Dorfgemeinschaft und die Beziehungen der Menschen mit- und untereinander, das Aufrechterhalten der Scheinwelten, und wo der Beobachtende selbst zum Beobachteten wird.

Durch die Erzählweise des Beiläufigen können beim Lesen eigene Bilder des Erlebten entstehen; wer kennt sie nicht die Grillhühnerbuden in den Einkaufszentrenmeilen, wo jede der anderen gleicht (Einkaufszentrum inklusive Grillhühnerbude), vor den begehrten Merkursupermärkten und XXXLutz Möbelstätten ...

Herrlich gelungen die Inszenierung und Darstellung der Betroffenen.

Geht nicht darum, was die anderen machen

Für die Glücksforschung sind 6 Wochen veranschlagt. Genauso lange Zeit, wie der Staat Österreich den "Herausgefallenen" eine psychische Rehabilitation gestattet, um wieder in die "Normalität" eingereiht zu werden. Unser Protagonist Karl versucht dies: "Es geht nicht darum, was die anderen machen, sagt Karl, es geht um das eigene Leben." Welch schöne Erkenntnis er auch gewinnt; allein durch das ständige "Wir", welches er vor sich her schleppt (seine Frau Margit und er als Proponenten der Forschung), scheint das Erkennen des Eigenen, des Ichs, noch nicht (oder nie?) möglich zu sein.

Wie der Vorgängerroman ist auch der Zweitling in gewisser Weise rückwärts erzählt: Er beginnt mit Karls Rückreise, "vierhundertneunundsechzig Kilometer" von zu Hause entfernt, und nähert sich dem Ziel an, bis er am Jupiterweg sieben endet. Dazwischen stagniert er des Längeren bei Kilometer "dreihundertvierundsiebzig" - kapitelweise dargestellt, symbolisch für das Scheitern oder für das Innehalten.

"Wir alle sollten an jemanden festhalten, damit er oder sie nicht weiter auseinanderfällt."
Ein Glücksmotto?

Nach dem "Zufallsprinzip" - Glück auf für ein gelingendes Leben, was immer das ist.

Ein Roman, der Lust auf mehr macht - vielleicht sind ja auch die Seesterne bloß ein Symbol für Krawattennadeln?

ANNA WEIDENHOLZER. WESHALB DIE HERREN SEESTERNE TRAGEN. Roman. Matthes & Seitz Berlin 2016. ISBN 978-3-95757-323-0