STANDBY

AUTOR: Daniel Wisser
REZENSION: Kathrin Kuna
Daniel Wisser hat seinen Roman im Juni in Klagenfurt der Bachmann-Jury vorgestellt. Man hat erstaunlich positiv auf die Passiv-Konstruktion reagiert, die schriftliche Form, die diesen Text beherrscht wie emotionale Unfreiheit und Angstneurosen den Protagonist, aus dessen Sicht das Geschehen erzählt wird:

"Es wird sein Gutes haben und selbst die einfachsten Menschen werden wieder nach gesunden Grundsätzen leben, von denen einer der wichtigste ist: der Wille zu sterben. Er hatte ihn schon als Kind und er hat hatte Freude an der Vorstellung des eigenen Todes wie auch des Todes anderer. Ein Sprengstoffanschlag, tausende Glassplitter, Körperteile und Blutlachen auf dem Gehsteig, eine Katastrophe, eine Flutwelle, ein atomarer Super-GAU, etwas Außergewöhnliches wäre auch heute besser, als jeden Samstag den Vater im Heim zu besuchen und das ewige, sinnlose Vor-sich-hin-Leben aus der Nähe betrachten zu müssen. Der Sonntag wird herbeigesehnt."

Es gibt Texte, die man schnell lesen kann. Die meisten Texte der Gegenwartsliteratur können schnell gelesen werden. Die Sätze sind kurz und prägnant, leicht verständlich, schnell verdaulich. Simpel kann schön sein, es kann treffsicher sein und auch mit wenig eine bestimme Ästhetik erzeugt werden. Dann gibt es Texte, die sehr kompliziert formuliert sind, mathematischen Formeln ähnlich werden Satzgebilde über mehrere Zeilen oder sogar Seiten gebaut und gewunden, manchmal so kunstvoll, dass der Inhalt dabei völlig vergessen wird.

Die Form schafft Stimmung

Im Fall von "Standby" trifft ein thematisch sehr schweres, bedrückendes Thema auf die sprachliche Entsprechung. Von der ersten Seite weg schafft der Text - nein, es wird nicht im Roman eine Stimmung entworfen, durch die Form schafft der Text selbst eine Stimmung. Diese mag von Leser zu Leser unterschiedlich wahrgenommen werden, doch wohl kaum jemand wird sich der Wucht und der Kraft dieser Zeilen vollends entziehen können. Vielleicht legen manche Leser das Buch schnell weg, weil es ihnen zu viel oder zu anstrengend ist. Vielleicht merken manche Leser die Wucht auch erst nach den ersten 30 Seiten. Untergangszenarien wurden schon in den letzten Jahrhunderten entworfen, aber medial ausgeschöpft wie im Moment wurden sie noch nie. Egal, ob Lars van Trier die Erde schon fast kitschig schön mit dem Planeten Melancholia zusammenprallen und explodieren lässt oder bei Roland Emmerich actionreich Maya-Prophezeiungen auf die Spezialeffekte Hollywoods treffen, wir haben uns daran gewöhnt das Ende der Zeit täglich erzählt zu bekommen. Im Kino, im Fernsehen, in den Nachrichten, in der Zeitung und auch in Romanen. In der Literatur steht zumeist allerdings der Zusammenbruch einer oder weniger Personen im Mittelpunkt. Daniel Wisser zeichnet in seinem Roman ein zeitgenössisches Bild der Gesellschaft durch die Darstellung eines Einzelnen. Wie der strenge Beobachter und Analyst Franz Schuh festgestellt hat, handelt es sich um ein Massenschicksal, das in "Standby" in eine außerordentliche, literarische Form gepackt wird. Die Seiten sind durchdrungen von der Angst vor dem Leben und dem daraus resultierenden Unwillen für dasselbe Verantwortung zu übernehmen:

"Er könnte husten oder Tee zubereiten oder so lange in der Schachtel mit den Medikamenten kramen, bis er tatsächlich krank wäre. Der Geruchssinn ist durch die Reizung der Nasenschleimhäute völlig ausgeschaltet. Wäre auch ein Brennen im Hals zu spüren, eine Schwere in den Gliedern, Schmerzen in den Gelenken, dann könnte tatsächlich von einer Erkrankung gesprochen werden. Dann könnte der Frau und dem Vater im Heim mitgeteilt werden, dass er krank sei und heute nicht gewohnheitsmäßig funktioniere."

"Herunterfahren" der Gefühle

Während wir mit rasend schnellen Veränderungen, v. a. aber auch der Informationsflut dazu und der Aufforderung zur ständigen Bereitschaft mitzumachen mittlerweile gänzlich überfordert sind, setzt eine Art Selbstschutz ein. Ein Abstumpfen und "Herunterfahren" der Gefühle und Sinne scheint die Reaktion auf den Überfluss der Reize in der Welt draußen zu sein. Dies ist eine gesellschaftliche Krankheit, ein System und als solches zu verstehen. Man kann dagegen keinen Tee kochen und man kann sich nicht fortstehlen. Man muss das Brennen im Hals und das Würgen nicht erträglich machen, sondern ertragen.

Seit der Lektüre von Elias Canettis "Blendung" hat ein Text nicht mehr gleichzeitig so viel Betroffenheit und Beklemmung in mir hervorgerufen. Nicht nur das Gefängnis der eigenen Neurosen und Ängste, v. a. das Forcieren derselben durch Medien, Gesellschaft und nicht zuletzt einen selbst hat Daniel Wisser hervorragend auf den Punkt gebracht und konsequent in einer über 198 Seiten reichenden Erzählung ausformuliert.

DANIEL WISSER. STANDBY. Klever Verlag. Wien 2011. ISBN 978-3-902665-37-9