WENN ICH GROSS BIN, WILL ICH EIN HAUSBOOT

MARKUS KÖHLE interviewt: Anna-Lena Obermoser
Liebe DUM Leserinnen und Leser, der Wortvertreter geht nach 10 Jahren Dienst in Frühpension. Er hat aber eine würdige Nachfolgerin gefunden. Wir freuen uns, Ihnen und euch Anna-Lena Obermoser vorstellen zu dürfen, die ab nächster Ausgabe regelmäßig eine Kolumne für DUM verfassen wird.

DUM: Liebe Anna-Lena, du bist auf den Poetry Slam Bühnen des Landes und darüber hinaus sowie in Graz daheim. Lass uns doch mal so tun, als kennten wir uns nicht, stell dich doch mal den DUM-LeserInnen vor. Wo kommst du her? Was hast du vor? Was treibt dich um?

Ich bin in einem kleinen Bergdorf im Oberpinzgau, Salzburg groß geworden. Es zählt wenig EinwohnerInnen, aber viel Tourismus. Ich hatte nicht viele Freunde und hab mich schon sehr früh auf Notizblöcke gestürzt und sie mit seichten Gedichten und Gedanken voll gerotzt. Dann traute ich mich mit 15 das erste Mal auf eine Poetry-Slam Bühne, mit peinlichen Reimen, aber mächtig viel Lust, etwas Neues auszuprobieren. Und ich fühlte mich wohl! Und ich ging schön in die Schule und Slam war ein nebensächliches Hobby.

2015 gewann ich zu meinem eigenen Verblüffen die österreichische U20-Poetry-Slam-Meisterschaft. Zack, dann ging alles sehr schnell! Ich wurde eingeladen, ich durfte herumfahren, ich durfte auftreten. Ich habe ein Studium begonnen und wieder beendet, weil Poetry Slam einfach da war. Da waren Slam-Meisterschaften und Titel und Touren und Buchstabenstimmung danach. Und immer noch. Slam ist da. Jetzt bin ich in Graz und darf dort als Mitglied von PLuS (Performte Literatur und Slam Steiermark) die lokale Szene mitgestalten und eine Menge lernen. Ich fahre herum, ich trete auf. Ich bin aktiv bei Slam Alphas, einem Verein, der sich für Förderung und Vernetzung von Frauen und Mädchen in der Slamszene einsetzt.

In meinen Texten steckt Pathos, aber der echte! Manchmal fehlt der Untergrund, aber es mangelt nie an Ehrlichkeit und Bühnenintensität. Ich schreibe über mich selbst als Klischee. Eine Anfang-20igerin, die keinen Plan von der eigenen Zukunft hat, sich desillusioniert gibt, aber gern das größte Stück vom Kuchen hätte. Ich bin laut, ich kann leise, mich gibt's in Farbe. Ich will meine Slam Poesie weiterdenken und herausfinden, was performte Literatur alles kann. Ich will längere Werke schreiben, ich will Texte mit Tönen mischen, ich will das, was genau genommen, alle anderen ja auch immer wollen: wachsen. Über mich hinaus.

DUM: Du wirst ab nächster Ausgabe die Kolumne "Der Wortvertreter" ablösen. Weißt du schon, was du machen und wie du deine Kolumne nennen möchtest?

Augenblicke flimmern, der Mut flimmert, die Leuchtreklame, Herzen, Kerzenlicht, Tagträume, echte Träume, Visionen, Gefühlseinbrüche, Gefühlseinsprüche und der Fernsehbildschirm flimmert auch. Ich werde nicht von Fremdem erzählen, ich zeige ein Vertrautes. Etwas, das uns gleichmacht. Etwas, das wir eh alle kennen, aber worüber niemand gern spricht. Etwas, das wir eh alle kennen, aber worüber man zu wenig spricht. Alltag ist gut. Alltag ist böse. Alltag flimmert an uns vorbei und dann ist schon Morgen, obwohl Vorgestern doch erst war. Deshalb: "flimmern.fischen". Flusen wischen, alles und Vokale aufsaugen und Gedanken nach Strich und Angelschnur teilen. "Fischen" übrigens, weil: wenn ich groß bin, will ich ein Hausboot. Mit jeder neuen DUM-Ausgabe, und meiner Kolumne darin, schmeiß ich mir mal einen Haufen Geld in mein Sparschwein, dann geht sich das schon irgendwie aus.

DUM: Da sprudeln die Ideen ja regelrecht. Wie wirfst du deinen Ideenmotor an? Was brauchst du zum Schreiben?

Ich schreibe sehr impulsiv. Oft, da juckt's mich einfach. In Alltagssituationen bleiben bei mir die Details hängen. Diese Details bringen mich dann oft auf Ideen, sei's wegen guten Gesprächen, Büchern, Musik ... irgendetwas bleibt immer bei mir hängen. Und dieses Hängengebliebene muss dann raus und das kann es sehr gut, wenn man meiner Hand einen Stift, meinem Raum einen Tisch mit Notizbuch darauf gibt.

DUM: Heute ein solches Detail aufgeschnappt? Was steht grad auf der aktuellen Seite deines Notizbuchs?

Ja! Ich bin ein absoluter Wintermensch und liebe die Kälte. Heute schneit's draußen ganz leicht und das taugt mir und macht mich ganz ruhig. Daneben spielt eine Freundin grauenhaft mit der Ukulele, aber sie ist und sie singt schön. Da hab ich schon wieder Lust, irgendwas in meinem Kopf zusammenzubasteln. Auf meiner aktuellen Notizbuchseite findet sich eine Zeichnung eines Sessels in Wachsmalkreide. Ich muss nicht immer alles mit Worten füllen.

DUM: Was liest du gern, was liest du gerade und was war dein Lieblingsbuch 2016?

Ich lese Romane, die weh tun, die gut tun - vorliebig mit starker, bildhafter Sprache. Ich liebe Gedichtbände. Klassisch bis modern. Ich lese auf Deutsch und auf Englisch. Bei Andrea Gibsons Gedichten liege ich winselnd im Bett und das taugt mir: Literatur, die viel in mir auslöst. Und ich gestehe mir schon ein, dass ich großer Fan von gutem Pathos bin. "Alles ist erleuchtet" von Jonathan Safran Foer und "Wie schön alles begann und wie traurig alles endet" von Dirk Bernemann sind meine gelesenen Favoriten 2016. Jetzt gerade versuche ich, mir meine Literatur-Lücken zu füllen, indem ich mir Virginia Woolf reinziehe.

DUM: Was macht guten Pathos aus? Wo beginnt der Kitsch?

Ich schreibe oft Dinge, bei denen ich mir beim Lesen im Nachhinein denke: Oida! Was ist das für ein Kitsch-Schei*. Dann kommt es darauf an, sich wieder in die Lage hinein zu versetzen, in der man diesen Schei* nicht als kitschig empfunden hat, sondern als Gefühl. Und Gefühle sind nicht kitschig. Gefühle müssen echt sein. Für mich ist hier das Vortragen der performativen Literatur wichtig. Es liegt an der Art, wie ich meinen Pathos rüberbringe. Übertreibe ich hysterisch und wehleidig und rotze Unechtes ins Mikro, oder vergesse ich eben das ganze Aufgesetzte, finde zu mir, zu meiner Ehrlichkeit und bin dann ich selbst. Meine Authentizität muss niemanden überzeugen, aber ich selbst muss mich dabei wohl fühlen.

DUM: Apropos "wohlfühlen". Was empfindest du, wenn du an die Zeitspanne "Vierteljahrhundert" denkst?

Panik. Weil ich noch vier Jahre habe, bis ich selbst schon ein Vierteljahrhundert alt bin. Und: spannend. Dass ich für ein DUM schreiben darf, das älter ist, als ich es bin.

DUM: Vielen Dank für das Interview, wir freuen uns auf deine Kolumne und dürfen dich beruhigen: 25 zu werden, tut nicht weh, im Gegenteil, es fühlt sich ganz schön gut an.


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