©Siobhán Geets
UND PLÖTZLICH WAR
DER TOTE HUND EIN TOTER MANN

Kathrin Kuna interviewt: Magda Woitzuck
Vor wenigen Monaten ist im Verlag Wortreich mit "Über allem war Licht" der Debütroman der niederösterreichischen Autorin Magda Woitzuck erschienen. Kathrin Kuna hat sie zum Interview gebeten und unter anderem über richtig und falsch bzw. gut und böse befragt.

DUM: Wie fühlt es sich an, den ersten eigenen Roman zwischen zwei Buchdeckeln zu halten?

Das ist ein ganz großartiges Gefühl. Aber auch sehr seltsam. Es fühlt sich immer wieder kurz ganz toll an, dann oft auch so, als hätte es nichts mit mir zu tun. Wow, denke ich manchmal, schau, ein - nein, MEIN! - Buch. Es ist sehr schön, wenn die vielen, vielen Seiten, die der Drucker über die Jahre ausgespuckt hat, die immer wieder mit dem Rotstift korrigiert und zusammengestrichen worden sind, plötzlich so ganz ordentlich verpackt in einem Einband daherkommen. Und ich kann es zu den anderen Büchern in meinem Regal stellen und dort fällt es nicht weiter auf, sondern gehört dazu. Das ist ein richtig gutes, abgeschlossenes, rundes Gefühl.

DUM: Wann hattest Du die Idee für diese Geschichte?

Den ersten Entwurf habe ich in zwei oder drei Tagen vor ein paar Jahren niedergeschrieben, der war aber ganz anders und eher eine längere Erzählung. Es war Ende August und wahnsinnig heiß. In der Zeit davor habe ich viel über Beziehungen nachgedacht, wie sie entstehen und was für seltsame Wendungen sie manchmal nehmen, die anfangs komplett unvorhersehbar scheinen, rückblickend aber immer irgendwie logisch. Ich wollte aber nicht über eine Beziehung schreiben, sondern über einen Mann, der seinen Hund begräbt. Das erste, was von der Geschichte da war, war die Ruine des Hauses, in dem Milo aufwuchs, der Schuppen, der Wald. Dann hat sich da plötzlich diese Liebesbeziehung zwischen den Hund und Milo gedrängt und plötzlich war der tote Hund ein toter Mann.

DUM: Rosa, die Hauptfigur in Deinem Roman, begreift an einem Punkt mit Entsetzen, "dass ihr Betrug aus Hans' Bestrafung etwas gemacht hat, das ihr gefiel". Wie lange hast Du an dem Charakter Rosa gearbeitet?

An Rosa habe ich sehr lange gearbeitet. Wenn ich an sie denke, dann ist sie immer die Frau ohne Gesicht, was sie im Moment des Schreibens aber nie war. Ich weiß dafür relativ genau, wie sie riecht. Rosa hat mir ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet, da wurde viel geschrieben und wieder verworfen. Ich habe mich irgendwann hingesetzt und angefangen, über die Biographien aller möglichen Frauen und Männer in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nachzudenken. Wenn wir mit Menschen sprechen, dann tendieren wir dazu, das Gesagte immer auf das Jetzt, den Moment umzulegen. Nur ganz selten sitzen wir in einer Runde und erkundigen uns nach dem Leben der anderen. Wenn man es dann einmal tut, kommen die ungeheuerlichsten Geschichten und plötzlich sagen die Meisten: "Mir ist etwas ähnliches passiert" oder "Bei mir war das anders". Dann hab ich mir erzählen lassen: Wie war das damals? Wie hast du dich gefühlt? Was hast du gelernt? Warum hast du es nicht so und so gemacht? Gewalt, egal ob seelische oder körperliche, ist sehr weit verbreitet. Jeder geht mit dieser Erfahrung anders um, fast alle wissen, dass der Kreis durchbrochen werden muss. Das Wissen ist der erste Schritt, der viel schwerere Schritt ist der, das auch wirklich zu tun. Ich wollte unbedingt, dass Rosa dieser Schritt gelingt. Das war insofern schwierig, weil ich ein paar Sachen beiseitelegen musste, etwa Moral, die mir als Richtschnur nicht weiter half. Ich konnte diese Geschichte nicht moralisch erzählen, sondern nur Rosalisch. Da musste ich mich aber erst einmal darauf einlassen und ihre Stimme finden und das hat ein bisschen gedauert.

DUM: Zu Beginn dachte ich, dass man von der leidenschaftlichen und geheimen Liebesbeziehung zwischen Rosa und Milo hauptsächlich erfahren wird, doch eigentlich entfaltet sich Stück für Stück ihr Verhältnis zu ihrem Ehemann Hans. Selbst wenn von Licht und Schatten gesprochen wird, es wird nicht gerichtet. Es gibt kein richtig und falsch, kein gut und böse. Stimmt das?

Ich weiß nicht, ob das stimmt. In der Natur stimmt es auf alle Fälle. Beim Menschen liegt die Sache etwas anders. Alles, was ich weiß ist, dass wir Glück empfinden, weil wir das Unglück kennen, Schönheit benennen können, weil wir einen Begriff von Hässlichkeit haben. Ich glaube, auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Jede Kultur benennt unterschiedliche Dinge richtig und falsch. Was hier richtig ist, kann woanders wieder ganz falsch sein. Siehe auf der Straße ausspucken und Links- und Rechtsverkehr. Da muss man aber nicht einmal unterschiedliche Kontinente nehmen, da reicht es, ins Wirtshaus zu gehen und etwas zum Thema Asylpolitik zu sagen und dann darauf zu warten, wer was richtig oder falsch findet.

DUM: Woher kommt Deine Präzision in der Sprache?

Ist meine Sprache präzise?! Wenn ja, großartig! Ich drehe jeden Satz hundertmal um wie einen Stein am Strand. Da wird umgestellt, rausgestrichen, erweitert, verkürzt und am Ende verwerfe ich ihn nicht selten ganz. An einem bestimmten Satz in dem Buch habe ich drei Tage herumgetan. Letztens schlage ich das Buch auf, lese zufällig diesen Satz und denke, dass ich verrückt gewesen sein muss. Jeder liest da drüber, das dauert gerade mal 2, 3, vielleicht 5 Sekunden und ich hab damit wie viele Sekunden zugebracht? Von der Minute, als ich ihn das erste Mal niedergeschrieben habe, bis zu dem Moment, wo er ins Lektorat ging? 54.000? Manchmal denke ich, mit mir stimmt was nicht. Aber vielleicht kommt es ja daher und wenn es so ist, ist es gut so.

DUM: Gibt es "große" Vorbilder - im Sinne von Bachmann & Co?

Immer wieder lese ich etwas, wo ich denke, so möchte ich auch schreiben können. Oder erzählen. Am Schönsten ist es, wenn beides zusammenkommt. Letztens habe ich Anna Karenina gelesen, da dachte ich: Wow. Wie dieser Tolstoi diese Nuancen hingekriegt hat - Applaus durch die Jahrhunderte. Ansonsten gibt es natürlich ein paar Lieblingsbücher. Cormac McCarthy. Carson McCullers ist eine ganz Großartige. John Irving. Thomas Glavinic. Donna Tartt. Juli Zeh. Gabriel Garcia Marquez. Und auch wenn Stephen King vieles geschrieben hat, das ich gar nicht gut finde: Ein paar Sachen von ihm sind super. Was Spannung betrifft, ist er beinahe ungeschlagen. Ein paar von denen stehen nicht umsonst bei vielen Lesern und Schriftstellern hoch im Kurs - die sind einfach sehr, sehr, sehr gut.

DUM: Welche junge Kollegin oder welchen jungen Kollegen schätzt Du besonders? Bzw. gibt es einen Buch-Tipp von Dir?

Ein ganz tolles Buch ist "Der Winter tut den Fischen gut" von Anna Weidenholzer, das hat mich sehr berührt. "Ich bin die Zukunft" von Erwin Uhrmann hat Bilder evoziert, die echt kleben bleiben, die krieg ich kaum mehr ab, daran denke ich oft, vor allem, als es so heiß war. Und "Die Grammatik der Zeit" von Patricia Brooks mochte ich auch sehr gerne. "Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic. "Nullzeit" von Juli Zeh. Ich freue mich außerdem auf den neuen Roman von Cornelia Travnicek. Ganz heißer Buchtipp gerade: Kevin Barry: "City of Bohane". Das ist echt super. Und John Williams "Butchers Crossing" ist eines meiner neuen Lieblingsbücher.

DUM: Welches ist Dein nächstes Projekt?

Ein neuer Roman. Idee ist schon da - Umsetzung fehlt noch. Aber ich freu mich drauf. Und so ein paar Sachen stehen gerade in fiktiven Töpfen auf dem fiktiven Herd in meinem Kopf. Mal sehen, was daraus wird.

DUM: Wie und wann schreibst Du? Der Roman fühlt sich an wie abends mit einigen Zigaretten und viel Tee geschrieben?

Ich schreibe - was mich selbst überrascht - echt diszipliniert und beinahe jeden Tag. Oft auch am Wochenende, wobei ich jetzt dazu übergegangen bin, mir einen oder zwei Tage in der Woche freizunehmen. Oder nach sehr intensiven Phasen auch mal ein paar Wochen nichts zu machen, nur Ideen sammeln. Aber lange Pause geht nicht, weil ich mittlerweile vom Schreiben lebe. Ich stehe in der Früh auf, setze mich hin und arbeite. Ich höre immer an einer Stelle auf, an der es einfach ist, am nächsten Tag wieder einzusteigen. Wenn ich merke, dass wirklich gar nichts geht, lasse ich es bleiben, aber ich bin streng mit mir. Wenn ich mit Arbeiten fertig bin, mache ich irgendwas draußen. Hund, Pferd, Rasen mähen, Holz schlichten.

DUM: Wenn das Buch verfilmt würde, welche Schauspielerin könnte Rosa darstellen?

Keine Ahnung. Wirklich nicht. Sie ist ja die Frau ohne Gesicht für mich. Man müsste mich an den Schauspielerinnen riechen lassen, aber das wäre echt ein seltsames Casting.

DUM: Vielen Dank für das Interview!

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