WAS MITTEN IN EINER FETTPFANNE SCHWIMMT

WOLFGANG KÜHN interviewt: Jaroslav Rudiš
Für DUM 66 konnte DUM - Das Ultimative Magazin den tschechischen Autor Jaroslav Rudiš gewinnen. Im Interview verriet er unter anderem, was für ihn die oft beschworene slawische Seele ist.


DUM: Du sprichst sehr gut Deutsch. Wo hast Du die Sprache gelernt?

Unterwegs. Und in der Schule. Ich bin im Grenzgebiet aufgewachsen, zwischen der ČSSR und der DDR. Und Ostdeutschland war unser Ferienland und wir haben es geliebt. Und Deutsch war mein Hobby. Deutsch, Eisenbahn, Geschichte, später kam auch Musik, Literatur und Kino dazu. Und es war auch mein kleiner persönlicher Punk, ein ganz kleiner Akt des Widerstands. Wir mussten ja Russisch lernen und als zweite Sprache wollten alle Freunde um mich herum Englisch sprechen. Aber ich bin sehr froh, dass ich Deutsch kann. In dieser Sprache liegt einfach ein grosser Teil von Mitteleuropa. Diese Sprache ist neben dem Tschechischen mein zweites Zuhause.

DUM: Als deutschsprechender tschechischer Autor bist Du aber eher die Ausnahme der Regel. Warum glaubst Du, ist das so?

Ich finde es bisschen schade. Aber es gibt Autoren, die es schaffen, wie Jaromír Konečný, Jan Faktor oder Milena Oda. Es ist sicher nicht einfach umzuschalten. Ich schreibe viel mehr auf Tschechisch. Auf Deutsch entstehen eher Hörspiele und Drehbücher. Da wird oft zu zweit gearbeitet, weil das auch mehr Spass macht. Wie jetzt in Berlin, wo ich zusammen mit Martin Behnke an "Semtex Blues" schreibe. Es ist eine deutsch-tschechische Geschichte über Männer in der Krise, die es mit sich selber und den Frauen nicht auf die Reihe kriegen und durchdrehen. Sie sammeln Waffen. Es sollte eine sehr schwarze Komödie sein.

DUM: Du hast soeben (April) ein Monat Aufenthaltsstipendium in Krems verbracht, warst auch schon 2006 einmal für ein Monat hier. Inwiefern ist die Mentalität der Österreicher und der Tschechen ähnlich?

Wer sind diese Tschechen mit vielen deutschen Familiennamen? Wer sind diese Österreicher mit den vielen lustigen tschechischen Familiennamen? Ich habe das Gefühl, dass wir uns gerne abgrenzen würden, wenn es nur ginge, dass wir gerne zeigen würden, wie unterschiedlich wir sind, aber wir zeigen dadurch nur, dass wir uns sehr ähnlich sind. Tschechien wird in Amerika oft mit Tschetschenien verwechselt. Und Austria mit Australia. Das ist doch herrlich! Auch das haben wir gemeinsam. Und dazu kommen noch unsere Geschichte, das Essen und natürlich auch die Eisenbahn.

DUM: Wie geht es einem leidenschaftlichen Biertrinker mit dem österreichischen Wein?

Sehr gut. Eigentlich bin ich eher ein Weintrinker. Wein macht nicht müde. Und die österreichischen Biere sind übrigens gar nicht so schlecht! Mein Vater würde so ein Schremser Bier aus dem Waldviertel sicher sehr schätzen.

DUM: In "Der Himmel unter Berlin" geht es sehr viel um U-Bahnen, in "Die Stille in Prag" spielen Straßenbahnen eine große Rolle, in "Alois Nebel" die Eisenbahn. Woher kommt Deine offensichtliche Vorliebe für öffentliche Verkehrsmittel?

Vielleicht sind es nicht die Charaktere, aber eher die Städte, die in meinen Romanen die Hauptrolle spielen. Vielleicht halten sie die Städte zusammen. Oder ganze Länder. Ganze Kontinente. Diese Vernetzung finde ich einfach spannend. Und ich fahre einfach gerne Bahn.

DUM: Der Fahrdienstleiter "Alois Nebel" aus der gleichnamigen Graphic Novel ist in Tschechien längst zur Kultfigur geworden, ist wahrscheinlich schon berühmter als seine Schöpfer Jaroslav Rudiš und Jaromír 99. Wie geht es Dir damit, von Deiner Romanfigur quasi "überholt" worden zu sein? Die Geister, die ich rief ...

Tja, das kann man gar nicht programmieren. Das kann nur passieren. Aber wir sind immer noch leicht geschockt. Damit hat keiner von uns gerechnet. Dass es verfilmt wird, dass sowas wie ein Nebel-Tourismus entsteht, wirklich nicht. Die graphic novel ist ja auch keine leichte Lektüre, man verliert sich leicht im Nebel dieser Geschichte. Aber trotzdem ist es passiert. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der Alois einfach ein sympathischer Typ ist. Mit einem schön geformten nachdenklichen böhmischen Bauch, mit seiner Melancholie, mit seinem Humor.

DUM: Was bedeutet für einen Tschechen Bohumil Hrabal, was die Romanfigur des braven Soldaten Schwejk (von Jaroslav Hašek "erschaffen")?

Sehr viel. Man stolpert über Hašek und Hrabal immer wieder. Aber man stolpert über die auch gerne. Mit jeder kleinen Kneipengeschichte, die ich erlebe, oder die mir jemand erzählt und ich muss die dann aufschreiben und denke dabei daran, wie es Hrabal oder Hašek machen würden. Das Kneipenbiergespräch in ein Stückchen Literatur umzukrempeln, dass ist eine grosse Herausforderung. Und das sehr Tragische so erzählen, dass man dabei lachen kann, das ist auch nicht leicht.

DUM: Was ist für Dich die so oft beschworene "slawische Seele"?

Die schwimmt mitten in einer Fettpfanne. Zusammen mit dem Schweinebraten, Kraut und den Knödeln. Wenn dazu noch das Bier kommt, erleben wir im Bauch eine richtige Schlacht. Aber das ist eher was mitteleuropäisches, nicht unbedingt Slawisches.

DUM: Vor mittlerweile fast 25 Jahren ist der Eiserne Vorhang gefallen, im Fall Tschechiens hat man von der "Samtenen Revolution" gesprochen. Du warst damals siebzehn. Wie hast Du den 17. November 1989 in Erinnerung? Inwieweit hat es Dich literarisch beeinflußt?

Gerade jetzt erscheint auf Tschechisch ein neues Buch von mir, Narodní třída - Die Nationalstrasse - eine düstere Schlägergeschichte aus einer Prager Siedlung. In der Kneipe treffen sich eher die, die mit der Wende eher verloren als gewonnen haben. Aber für mich war es auf jeden Fall ein sehr glücklicher Moment. Wir mussten nur kapieren, dass der Kapitalismus nicht der Demokratie und Freiheit gleicht. Wir waren besoffen vom Konsum und Kapitalismus. Erst später haben wir lernen müssen, dass man sich um die Freiheit und Demokratie immer Sorgen machen muss. Vielleicht klingt es ein bisschen pathetisch und wenig böhmisch-ironisch, aber so ist es halt.

DUM: Was dürfen wir als nächstes von Dir erwarten?

Nächstes Jahr kommt mein vierter Roman auf Deutsch, Vom Ende des Punks in Helsinki. Das Buch mag ich sehr und bin gespannt, wie es ankommt. Es geht um die letzten Punks in den Achtzigern in der Tschechoslowakei und in der DDR. Und es geht auch darum, was aus ihnen geworden ist. Helsinki ist eine verrauchte Bar, wo sie sich treffen. Und in dem Rauch schweben viele kleine Kneipengeschichten. Tragisch und komisch zugleich.



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