DUM NR. 52

THEMA: WUT.WAHNSINN.WILLE
Mit: Clemens J. Setz - Interview * Kevin Kuhn * Simon M. Jonas * Thomas Steiner * Elisabeth R. Hager * Bülent Kacan * Annemarie Regensburger * Bettina Gärtner * Clemens Ottawa * Tobias Sommer * Tibor Schneider * Eva Austin * Roman Weyand * René Steininger * Manuela Kurt * Christian Seiffert * Mathias Klammer * Johann Reißer * Wolfgang Pollanz * Rainer Hawlik * Der Wortvertreter

Rezensionen: Amaryllis Sommerer - Selmas Zeichen * Toby Barlow - Scharfe Zähne * Alois Brandstetter - Cant läßt grüßen * Vladimir Zarev - Familienbrand

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Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 13.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
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DUM-Interview: "Der den Frühling umweint oder Staunen ist tendenziell asozial" mit Clemens J. Setz


Leseproben aus DUM 52:

AM ENDE DER NACHT
(Elisabeth R. Hager)

Manche fallen einfach raus. Sie sind zu leicht. Keine Schwerkraft. Aber die Kugel dreht sich weiter. Ohne sie. Hab ich Recht?
Obwohl ich fast nichts sehen konnte, wußte ich, dass Hans seine Augen weit aufgerissen hatte und mich anstarrte. Der Blick brannte auf der Haut. Mein Steißbein berührte noch immer den feuchten Fleck auf der Matratze.
Ist Weiß für dich eine Farbe? Ich hatte keine Antwort. Ich hatte einfach mal wieder was Aufregendes erleben wollen. Ist Weiß für dich eine Farbe? -----------
Bitte hör endlich auf mit dem Scheiß!, brachte ich Minuten später heraus. Hans hatte längst aufgehört. Seine Zähne klapperten und irgendwo tickte eine Uhr. Er hatte dreimal soviel genommen wie ich. Ich beschloss sofort zu gehen. Ich hatte keine Lust mir die Frage zu stellen, ob ich einen Arzt rufen sollte oder nicht. Mit einem Mal hörte das Klappern auf und Hans schien sich beruhigt zu haben. Die Spannung im Raum ließ nach. Das Ticken wurde sanfter.
…


VERZAHNUNGEN
(Bettina Gärtner)

Ich nahm den Weg durch die Allee. Den Kastanienbäumen wich ich aus. Am Haupttor, vor dem ein Mann mit Zopfperücke Prospekte austeilte, parkte ein Reisebus mit der Aufschrift "Leben in Bewegung". Der Bus war leer bis auf den Fahrer, der hinter dem Lenkrad saß und den Rauch seiner Zigarette durch das offene Fenster ins Freie blies.
Ich ging hin und legte meine Wange an den Bus; er fühlte sich warm an. Die schimmernde Lackschicht war mit winzigen Kratzern übersät. Ich hob den Arm, malte mit befeuchtetem Finger das Wort "Bewegung" nach und genoss das Prickeln in der Fingerkuppe.
Als der Fahrer herauskam, löste ich mich und wandte mich zum Haupttor. Den Prospekt, den der Mann mit der Zopfperücke mir hinstreckte, wies ich zurück. Als ich über den mit Kies bestreuten Schlosshof ging, hatte ich ein vages Gefühl von sich verdünnender Luft. Gegessen hatte ich auch noch nichts.

Ich war den Hinweisen "zu den Gärten / to the Gardens" eine Weile gefolgt, als meine Schritte lautlos wurden; ich war in eines der Rasenbeete getreten, die die Freifläche hinter dem Schloss schmücken. Sie mündet in eine steil ansteigende Schneise, über die Serpentinen hinaufführen. Das obere Gelände besteht aus durch Wege miteinander verbundenen Mischwaldflächen. Wo dort die Sonne bis zum Boden dringt, gedeihen Nüsse; davon und von den Eicheln ernähren sich die Eichhörnchen. Ich ging die Serpentinen hoch und setzte mich am Waldrand auf eine der Bänke mit Blick auf Schloss und Stadt. Jemand hatte einen Prospekt liegenlassen.
Mein Gefühl, dass mit der Luft etwas nicht stimmte, wurde deutlicher. Ich begann, die Finger einer Hand zu kräuseln und zu spreizen, den Arm zu schlenkern und mit ihm zu kreisen. Ich kreiste wilder und nahm den anderen Arm dazu, aber ich konnte keinen Widerstand spüren. Was ich tat, kam mir zwar immer noch wie Atmen vor, doch schien es hier oben gar keine Luft zu geben. Aus den Zehen fühlte ich ein Sausen aufsteigen, das mich flutete und verebbte, neuen Anlauf nahm und wieder gegen meine Körperwände krachte.
…


BÖREK & BIER
(Tibor Schneider)

der marx war auch da// das wechselgemüse// meine stadt voll mit kränen// sprechen im sog. tübinger konjunktiv// der abstand zwischen jäger und gejagtem// i-getuned berlin calling// bearbeiten. ansicht. einfügen//


ZWECKENTFREMDET
(Eva Austin)

Meine Haare werden grau.
Ich stehe vor dem Spiegel und fasse sie seitlich zurück. Genau über den Ohren kann man es am besten sehen. Viele lange silberne Fäden ziehen durch meine roten Locken. Ich werde alt.
Letzte Woche hatte ich meinen 39-igsten Geburtstag. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern in diesem Alter schon weiße Haare hatten. Von meiner trockenen, müden Haut ganz zu schweigen. Mama würde sagen: Kind, da bist du aber selbst schuld daran. Du weißt doch genau, wie schlecht rauchen für die Haut ist!
Ja Mama, ich wei߅
Ich habe ihm in seinem Kühlschrank- der bis vor kurzem noch unserer war- eine Gurke hinterlassen. Sie liegt unten im Gemüsefach, zwischen ein paar verschrumpelten Karotten und einem halben grünen Paprika. Mittlerweile ist sie wahrscheinlich auch schon leicht verrunzelt. Aber vielleicht auch nicht.
Ich hätte die Gurke jetzt gerne in Scheibchen auf mein verweintes Gesicht gelegt. Schon bei dem Gedanken kann ich die Kühle spüren, die sie auf meinen müden Augen und Wangen hervorrufen würde. Ein angenehmer Schauer stellt mir kurz meine Nackenhaare auf und macht mich wach, beinahe munter. Für einen kurzen Moment vergesse ich meine alternde Haut, die so erschöpft ist wie die Pigmentproduktion meiner Haarfollikel.
Meine Gurke ...


GRAITINGER
(Johann Reißer)

Ein gewisser Graitinger, seit wenigen Monaten Pächter eines kleinen, aber bekannten Kaffeehauses in Wien, beschloss eines Dienstages, dem Ruhetag Montag ausnahmsweise noch einen weiteren Ruhetag anzuhängen, da er sich vom Geschäft der Hauptsaison erschöpft fühlte.

Der Entschluss kam ihm ungewöhnlich spontan. Von Natur eher ein grüblerisch Typus neigte er oft zum Zaudern. Als an diesem Dienstag jedoch der Wecker läutete, stand Graitinger der Entschluss bereits klar vor Augen. Er sprang aus dem Bett auf und nahm sogleich sein Frühstück ein, wobei er ganz auf das sonst ihm gebräuchliche Schwelgen in belanglosen Zeitungsartikeln bis zum Kaltwerden des Kaffees verzichtete. Rasch verschlang er zwei trockene Brötchen, ließ das Zähneputzen ausfallen, steckte sich einen dicken Stift in die Tasche, klemmte sich einen Bogen Papier unter den Arm und machte sich zu seinem Kaffeehaus auf.

Dort angekommen nahm er das Schild, auf dem in altmodischen Buchstaben "Montag geschlossen." stand, aus der Tür, und pinselte auf einen neuen Bogen "Dienstag geschlossen." Nachdem er diesen angebracht hatte verschloss er das Kaffeehaus wieder und ging mit befriedigter Miene nach Hause. Doch schon auf dem Heimweg überkamen ihn Zweifel. Graitinger hatte die Eigenheit, über Kleinigkeiten manchmal sehr lange nachdenken zu müssen. Daher verließ ihn seine Unruhe auch nicht, als er sich zu Hause angekommen wieder schlafen legen wollte und er verbrachte fast den ganzen Tag grübelnd im Bett. Wirkte es nicht fadenscheinig, einfach "Dienstag geschlossen" zu schreiben? Graitinger war ein gewissenhafter Mensch und wenn er etwas tat, so sagte er sich, dann tat er es ordentlich. Er war ja kein Dummkopf und müsse daher ja wohl zur Herstellung vernünftiger Schließungsschilder im Stande sein. Gegen acht Uhr abends stand er endlich aus dem Bett auf und setzte sich mit Stift und Papier an den Küchentisch. Doch erst gegen ein Uhr schrieb er endlich einen Satz, löschte sogleich das Licht und begab sich zu Bett, wo er einen ruhigen und erholsamen Schlaf fand.
...